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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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hatte ich es mir nicht vorgestellt«, sagte sie angewidert und machte ein paar Schritte auf das Bett zu.
    »Ach, bin ich müde!« Sie ließ sich kraftlos auf das harte Bett nieder. »Bitte, stellen Sie die Reisetasche ab und setzen Sie sich auf den Stuhl. Übrigens, tun Sie, was Sie wollen, stehen Sie nicht so herum. Ich bleibe vorübergehend bei Ihnen, bis ich Arbeit finde, weil ich hier ganz fremd bin und kein Geld habe. Aber wenn ich Ihnen zur Last falle, dann tun Sie mir, bitte, den Gefallen und sagen Sie es mir gleich, das ist Ihre Pflicht, wenn Sie ein anständiger Mensch sind. Ich kann immerhin morgen etwas verkaufen und im Gasthof ein Zimmer bezahlen, aber Sie werden die Güte haben, mich in den Gasthof zu bringen … Oh, ich bin nur müde!«
    Schatow bebte förmlich am ganzen Körper.
    »Nicht nötig, Marie; ein Gasthof ist nicht nötig! Warum denn ein Gasthof? Warum denn, warum?«
    Er faltete flehend die Hände.
    »Nun, auch wenn es ohne Gasthof geht, muß unbedingt einiges geklärt werden. Wie Sie wissen, Schatow, haben wir als Eheleute in Genf etwas über vierzehn Tage gelebt, und jetzt sind es bereits drei Jahre, daß wir uns trennten, übrigens ohne uns besonders gestritten zu haben. Aber glauben Sie nur nicht, ich sei zu Ihnen zurückgekommen, um irgendwelche früheren Dummheiten aufzuwärmen. Ich bin zurückgekommen, um Arbeit zu suchen, und wenn ausgerechnet in dieser Stadt, dann nur, weil es mir gleichgültig ist, wo. Ich bin nicht hier, um etwas zu bereuen; tun Sie mir den Gefallen und bilden Sie sich nicht auch noch diese Dummheit ein.«
    »Oh, Marie! Das brauchst du nicht sagen, niemals«, murmelte Schatow kaum hörbar.
    »Und wenn das so ist, wenn Sie so vernünftig sind, auch das zu begreifen, erlaube ich mir hinzuzufügen: Wenn ich mich jetzt direkt an Sie wende und in Ihre Wohnung komme, so liegt das teilweise auch daran, daß ich Sie nie für einen Schurken, sondern für jemand weit Besseren gehalten habe als … diese Schufte! …«
    Ihre Augen funkelten. Sie hatte wohl manches von irgendwelchen »Schuften« ertragen müssen.
    »Und seien Sie bitte versichert, daß ich mich keineswegs über Sie lustig mache, wenn ich Ihnen sage, Sie seien ein guter Mensch. Ich sage das ganz direkt, nicht rhetorisch, so etwas kann ich nicht ausstehen. Aber das ist alles dummes Zeug. Ich habe immer darauf vertraut, daß Sie klug genug sind, um nicht aufdringlich zu werden … Oh, genug, ich bin müde!«
    Sie sah ihn mit einem langen, gequälten, müden Blick an. Schatow stand ihr gegenüber, an der anderen Wand, etwa fünf Schritt von ihr entfernt, und hörte ihr schüchtern zu, aber wie neu belebt, mit einem nie dagewesenen Leuchten im Gesicht. Dieser starke und äußerlich rauhe, sich ständig widerborstig gebärdende Mensch war plötzlich ganz weich und hell geworden. In seiner Seele regte sich zitternd etwas nie Dagewesenes und Unverhofftes. Drei Jahre Trennung, drei Jahre einer zerbrochenen Ehe hatten aus seinem Herzen nichts zu verdrängen vermocht. Und vielleicht hatte er in diesen drei Jahren täglich von ihr geträumt, von jenem teuren Wesen, das ihm einmal gesagt hatte: »Ich liebe dich.« Ich behaupte, und ich kannte Schatow, daß er niemals auch nur davon geträumt hätte, eine Frau könnte sagen: »Ich liebe dich.« Er war keusch und schamhaft bis zum Exzeß, hielt sich für eine furchteinflößende Mißgeburt, haßte sein Gesicht und seinen Charakter und achtete sich einem Monstrum gleich, mit dem man von Jahrmarkt zu Jahrmarkt fährt und es für Geld zeigt. Infolgedessen schätzte er die Ehrlichkeit als die höchste aller Tugenden, und er hielt an seinen Überzeugungen nahezu fanatisch fest, war finster, stolz, jähzornig und wortkarg. Und dieses einzige Wesen, das ihn zwei Wochen lang geliebt hatte (das hatte er immer, immer geglaubt!), dieses Wesen, das er stets unermeßlich hoch über die eigene Person gestellt hatte, obwohl er dessen Verirrungen völlig nüchtern beurteilte; dieses Wesen, dem er alles, alles vergeben konnte (das war überhaupt keine Frage, es war sogar umgekehrt, er sah sich als den Alleinschuldigen), diese Frau, diese Marja Schatowa, war plötzlich wieder in seinem Haus, wieder vor seinen Augen … Es war kaum zu fassen! Er war so verblüfft, in diesem Ereignis lag für ihn so viel Unheimliches und zugleich so viel Glück beschlossen, daß er, verständlicherweise, kaum zu sich kommen konnte, es vielleicht auch nicht einmal wollte und sich davor fürchtete. Es war ein

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