Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
Traum. Aber als sie ihn mit diesem gequälten Blick ansah, begriff er plötzlich, daß dieses über alles geliebte Wesen litt und daß ihm vielleicht Unrecht geschehen war. Sein Herz stockte. Mit tiefem Schmerz betrachtete er ihre Züge: Der Glanz der ersten Jugend war schon lange aus diesem müden Gesicht gewichen. Freilich, sie war immer noch eine gute Erscheinung – und in seinen Augen, genau wie früher, eine Schönheit. (In Wirklichkeit war sie eine Frau von fünf- undzwanzig Jahren, ziemlich kräftig gebaut, mehr als mittelgroß, größer als Schatow, mit dunkelblondem, prächtigem Haar, blassem ovalem Gesicht und großen dunklen Augen, die jetzt fiebrig glänzten.) Aber die unbeschwerte naive und offenherzige, ihm von früher so vertraute Energie war einer mißmutigen Reizbarkeit und Enttäuschung, beinahe einem Zynismus gewichen, an den sie sich noch nicht gewöhnt hatte und der sie selbst bedrückte. Aber sie war krank, das war die Hauptsache, und das sah er deutlich. Ungeachtet seiner Angst vor ihr trat er plötzlich auf sie zu und nahm rasch ihre beiden Hände.
    »Marie … weißt du, vielleicht bist du sehr müde … um Gottes willen, sei nicht böse … Wärest du vielleicht mit einem Tee einverstanden, wenigstens mit einem Tee? Tee ist doch sehr erfrischend, nicht wahr? Oh, wenn du nur einverstanden wärest! …«
    »Was heißt einverstanden, natürlich bin ich einverstanden, Sie sind noch dasselbe Kind wie früher. Geben Sie mir Tee, wenn es geht. Wie eng Sie es hier haben! Und wie kalt!«
    »Oh, sofort, Holz, Holz … Holz habe ich!« Schatow war ganz Bewegung. »Holz … das heißt, aber … übrigens werde ich auch den Tee sofort …« Er machte eine Handbewegung, als hätte er einen kühnen Entschluß gefaßt, und griff nach seiner Mütze.
    »Wohin wollen Sie? Sie haben also keinen Tee im Haus?«
    »Er kommt, er kommt, er kommt, gleich kommt alles … ich …«, und er nahm rasch den Revolver vom Bücherbord.
    »Ich werde sofort diesen Revolver verkaufen oder … oder … versetzen …«
    »Was sind das für Dummheiten, wie lange wird das dauern! Hier, nehmen Sie, hier ist mein Geld, wenn Sie keines haben, hier achtzig Kopeken, glaube ich; das ist alles. Bei Ihnen geht es zu wie im Tollhaus.«
    »Brauch’ ich nicht, dein Geld brauch’ ich nicht, sofort, einen Augenblick, den Revolver brauch’ ich auch nicht …«
    Und er lief geradewegs zu Kirillow hinüber. Wahrscheinlich geschah das etwa zwei Stunden, bevor Pjotr Stepanowitsch und Liputin Kirillow aufsuchten. Schatow und Kirillow, die im selben Anwesen wohnten, besuchten einander fast nie, und wenn sie sich trafen, grüßten sie nicht und sprachen kein Wort miteinander: Zu lange hatten sie in Amerika »nebeneinandergelegen«.
    »Kirillow, bei Ihnen gibt es immer Tee; haben Sie Tee und einen Samowar?«
    Kirillow, der im Zimmer auf und ab ging (gewohnheitsmäßig die ganze Nacht über, von einer Ecke in die andere), blieb plötzlich stehen und sah den Hereinstürzenden aufmerksam an, allerdings ohne sich besonders zu wundern.
    »Tee, Zucker, Samowar, aber Samowar ist nicht nötig, der Tee ist noch heiß. Setzen Sie sich und trinken Sie einfach.«
    »Kirillow, wir haben in Amerika nebeneinandergelegen … Meine Frau ist gekommen … Ich … Geben Sie den Tee … Ich brauche einen Samowar.«
    »Wenn die Frau gekommen ist, dann brauchen Sie den Samowar, aber den Samowar später. Ich habe zwei. Jetzt nehmen Sie die Teekanne, die auf dem Tisch. Heiß, sehr heiß. Nehmen Sie alles; nehmen Sie Zucker; allen Zucker. Brot … Ich habe viel Brot … alles Brot. Ich habe Kalbfleisch. An Geld ein Rubel.«
    »Gib alles her, Freund, bis morgen! Oh, Kirillow!«
    »Ist das die Frau, die aus der Schweiz? Das ist gut. Und daß Sie so gelaufen kamen, ist auch gut.«
    »Kirillow!« rief Schatow, die Teekanne unter den Ellbogen geklemmt und Zucker und Brot in den Händen. »Kirillow, wenn … wenn Sie nur Ihre schrecklichen Phantasien abschütteln und Ihre atheistischen Wahnvorstellungen über Bord werfen könnten … oh! Was wären Sie für ein Mensch!«
    »Man sieht, daß Sie Ihre Frau nach der Schweiz lieben. Das ist gut, daß es nach der Schweiz ist. Wenn Sie Tee brauchen, kommen Sie wieder. Kommen Sie die ganze Nacht, ich schlafe nie. Der Samowar kocht. Nehmen Sie den Rubel, hier. Gehen Sie zu Ihrer Frau, ich bleibe hier und denke an Sie und an Ihre Frau.«
    Marja Schatowa war sichtlich zufrieden, daß er so schnell wiederkam, und nahm

Weitere Kostenlose Bücher