Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Attacke und betrachtete mit wohlwollendem Interesse seine Nachbarin, die Bibelverkäuferin, die allerdings den Tee aus der Untertasse trank und den Zucker dazu knabberte. “ Ce petit morceau de sucre, ce n’est rien … Sie hat etwas Vornehmes und Unabhängiges an sich, aber gleichzeitig Stilles. Le comme il faut tout pur , nur ein etwas anderer Stil.”
Bald erfuhr er von ihr, daß sie Sofja Matwejewna Ulitina heiße und eigentlich in K. wohne, wo auch ihre verwitwete Schwester, eine Kleinbürgerin, lebe, die ebenfalls verwitwet sei; ihr Mann habe sich vom Feldwebel zum Sous-Lieutenant heraufgedient und sei bei Sewastopol gefallen.
»Aber Sie sind doch noch so jung, vous n’avez pas trente ans !«
»Vierunddreißig«, lächelte Sofja Matwejewna.
»Oh, Sie verstehen auch Französisch!«
»Ein wenig; ich habe dann vier Jahre in einem sehr vornehmen Hause gelebt und dort von den Kindern einiges gelernt.«
Sie erzählte, daß sie, nachdem ihr Mann gefallen wäre, mit ihren achtzehn Jahren in Sewastopol als Lazarettschwester geblieben sei, anschließend verschiedene Stellungen angenommen habe und nun herumziehe und Bibeln verkaufe.
»Mais mon Dieu! Waren Sie es etwa, der in unserer Stadt diese merkwürdige, diese höchst merkwürdige Geschichte zugestoßen ist?«
Sie errötete; es stellte sich heraus, daß sie es war.
» Ces vauriens, ces malheureux ! …« rief er mit einer vor Entrüstung bebenden Stimme; die schmerzliche, verabscheuungswürdige Erinnerung klang peinvoll in seinem Herzen nach. Einen Augenblick lang schien er geistesabwesend.
“Oh, sie ist ja wieder hinausgegangen.” Er kam zu sich, als er bemerkte, daß sie schon wieder hinausgegangen war. “Sie geht häufig hinaus und ist mit irgend etwas beschäftigt. Sogar beunruhigt, wie ich merke … Bah, je deviens égoïste …”
Er hob den Blick und sah wieder Anissim vor sich, aber diesmal in einer höchst bedrohlichen Situation. Die ganze Stube war voll von Bauern, die Anissim offenbar zusammengetrommelt hatte. Es waren versammelt der Wirt, der Bauer mit der Kuh, zwei weitere Bauern (Fuhrleute, wie sich später herausstellte) und ein kleinwüchsiger, angeheiterter Mann in Bauerntracht, aber rasiert, vermutlich ein heruntergekommener Kleinbürger, der das große Wort führte. Und sie alle debattierten über ihn, über Stepan Trofimowitsch. Der Bauer mit der Kuh behauptete beharrlich, daß die Fahrt am Ufer entlang gut und gern vierzig Werst Umweg bedeute und daß man unbedingt den Dampfer nehmen müsse. Der angeheiterte Kleinbürger und der Wirt widersprachen hitzig:
»Weil, mein Bester, am nächsten ist für Hochwohlgeboren der Dampfer quer über den See; da gibt’s nichts zu rütteln; aber der Dampfer wird nach den heutigen Umständen vielleicht gar nicht kommen.«
»Er kommt, er kommt, noch eine ganze Woche lang.« Anissim ereiferte sich mehr als alle anderen.
»Richtig! Aber er kommt nicht pünktlich, weil es schon spät im Jahr ist, manchmal läßt er in Ustjewo drei Tage auf sich warten.«
»Morgen kommt er! Morgen wird er gegen zwei Uhr mittags pünktlich anlegen. In Spassow werden Sie noch vor Abend pünktlich ankommen, gnädiger Herr.« Anissim überschlug sich beinahe vor Eifer.
“ Mais qu’est-ce qu’il a, cet homme ?” Stepan Trofimowitsch erwartete bebend den Spruch des Schicksals.
Nun traten auch die Fuhrleute mit ihren Angeboten hervor; bis Ustjewo verlangten sie drei Rubel. Die anderen schrien, der Preis sei recht und im Sommer verlange man bis Ustjewo denselben Preis.
»Aber … hier ist es doch auch schön … Und ich will nicht«, nuschelte Stepan Trofimowitsch.
»Schön, Herr, da haben der Herr ganz recht, bei uns in Spassow ist es jetzt wunderschön, und Fjodor Matwejewitsch werden über den gnädigen Herrn sehr erfreut sein.«
»Mon Dieu, mes amis, das trifft mich alles so unerwartet.«
Endlich kam Sofja Matwejewna wieder zurück. Aber sie war niedergeschlagen und traurig, als sie sich auf die Bank setzte.
»Ich komme also doch nicht nach Spassow!« sagte sie zu der Wirtin.
»Wie? Sie möchten auch nach Spassow?« Stepan Trofimowitsch belebte sich augenblicklich.
Es stellte sich heraus, daß eine Gutsbesitzerin, Nadjeschda Jegorowa Swetlizyna, sie noch gestern nach Chatowo bestellt und ihr versprochen hatte, sie bis Spassow mitzunehmen, jedoch nicht gekommen war.
»Was soll ich jetzt tun?« wiederholte Sofja Matwejewna immer wieder.
» Mais, ma chère et nouvelle amie , ich kann Sie doch auch
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