Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
Trofimowitsch erbleichte und erhob sich von seinem Sessel.
    »Nicht glauben, nicht glauben! Jemand hat geirrt, und Lebjadkin ist besoffen …«, wiederholte der Ingenieur in unbeschreiblicher Erregung, »alles klärt sich, aber ich will nicht mehr … und halte für Gemeinheit … genug, genug!«
    Er stürzte aus dem Zimmer.
    »Aber wieso? Ich komme doch mit!« Liputin erschrak, sprang auf und rannte Alexej Nilytsch nach.
    VII
    STEPAN Trofimowitsch verharrte etwa eine Minute lang in Nachdenken, warf mir, irgendwie ohne mich wahrzunehmen, einen Blick zu, nahm Hut und Stock und ging langsam aus dem Zimmer. Ich folgte ihm abermals, wie vorhin. Am Tor, als er bemerkte, daß ich ihn begleitete, sagte er:
    »Ach ja, Sie können Zeuge sein … de l’accident. Vous m’accompagnerez, n’est-ce pas ?«
    »Stepan Trofimowitsch, wollen Sie wirklich wieder hingehen? Überlegen Sie doch, was kann dabei herauskommen?«
    Mit einem kläglichen und verstörten Lächeln, einem Lächeln der Scham, der völligen Verzweiflung und gleichzeitig seltsamen Verzückung, blieb er einen Augenblick stehen und flüsterte mir zu:
    »Ich kann doch nicht ›fremde Sünden‹ heiraten!«
    Ich hatte nur auf dieses Wort gewartet. Endlich war dieses geheime, vor mir sorgsam gehütete Wörtchen nach einer ganzen Woche voller Ausflüchte und Grimassen ausgesprochen. Ich verlor endgültig die Geduld.
    »Daß ein so schmutziger, ein so … niedriger Gedanke in Ihnen auftauchen konnte, in einem Stepan Werchowenskij, in Ihrem hellen Kopf, in Ihrem gütigen Herzen und … noch vor Liputin!«
    Er sah mich an, antwortete nicht und ging weiter. Ich wollte ihn nicht allein gehen lassen. Ich wollte vor Warwara Petrowna als Zeuge auftreten. Ich hätte es ihm verziehen, wenn er bloß Liputin geglaubt hätte, in seinem weibischen Kleinmut, aber nun war es klar, daß er das alles schon lange vor Liputin dachte und daß Liputin heute seinen Verdacht nur bestätigt und Öl ins Feuer gegossen hatte. Er hatte nicht gezögert, das junge Mädchen vom ersten Tag an zu verdächtigen, ohne jeden Grund, nicht einmal einen liputinschen. Das despotische Vorgehen Warwara Petrownas hatte er nur als einen verzweifelten Versuch aufgefaßt, die gutsherrlichen Sünden ihres angebeteten Nicolas durch eine Hochzeit mit einem Ehrenmann zu übertünchen! Ich wünschte sehnlichst, daß er dafür bestraft würde.
    » O Dieu, qui est si grand et si bon ! O wer tröstet mich!« rief er aus, nachdem er etwa hundert Schritte weitergegangen und plötzlich stehengeblieben war.
    »Lassen Sie uns sofort nach Hause gehen, und ich werde Ihnen alles erklären!« schrie ich, indem ich ihn gewaltsam zum Haus zurückdrängte.
    »Das ist er! Stepan Trofimowitsch, sind Sie es? Sie?« ertönte eine frische, heitere, junge Stimme wie Musik neben uns.
    Wir hatten nichts bemerkt, aber inzwischen war neben uns eine Reiterin aufgetaucht, Lisaweta Nikolajewna, in Gesellschaft ihres ständigen Begleiters. Sie brachte ihr Pferd zum Stehen.
    »Kommen Sie, kommen Sie schnell!« rief sie laut und fröhlich. »Zwölf Jahre lang habe ich ihn nicht gesehen und habe ihn sofort erkannt, während er … Erkennen Sie mich denn nicht?«
    Stepan Trofimowitsch ergriff hastig die Hand, die sie ihm entgegenstreckte, und küßte sie andächtig. Er sah gleichsam anbetend zu ihr hinauf und brachte kein Wort über die Lippen.
    »Er hat mich erkannt und freut sich! Mawrikij Nikolajewitsch, er ist entzückt, mich zu sehen! Warum sind Sie aber die ganzen zwei Wochen nicht zu uns gekommen? Die Tante wollte uns einreden, Sie seien krank und man dürfe Sie nicht stören; aber ich weiß ja, daß sie nicht die Wahrheit sagt. Ich habe immer vor Ungeduld mit den Füßen gestampft und auf Sie geschimpft, aber ich wollte unbedingt, daß Sie von sich aus kommen, deshalb habe ich auch nicht nach Ihnen geschickt. Mein Gott, er hat sich überhaupt nicht verändert!« Sie beugte sich aus dem Sattel zu ihm herab und betrachtete ihn. »Er ist so unverändert, daß es fast komisch ist! O doch, da sind Fältchen, viele Fältchen um die Augen und auf den Wangen, und auch graue Haare, aber die Augen sind dieselben! Und habe ich mich verändert? Habe ich mich verändert? Aber warum schweigen Sie?«
    In diesem Augenblick fiel mir ein, daß man erzählte, sie sei beinahe krank geworden, als man sie mit elf Jahren nach Petersburg fortbrachte; und während dieser Krankheit habe sie geweint und nach Stepan Trofimowitsch verlangt.
    »Sie … ich …«,

Weitere Kostenlose Bücher