Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Zweitens haßte man sie, weil sie eine Verwandte der Gouverneursgattin war; drittens, weil sie jeden Tag ausritt. Bei uns hatte es bis jetzt keine einzige Amazone gegeben; es war verständlich, daß der Anblick Lisaweta Nikolajewnas, die wohl spazierenritt, aber keine Besuche machte, von der Gesellschaft als Affront empfunden wurde. Übrigens war bereits allgemein bekannt, daß sie auf ärztliche Anordnung ritt, und das war wiederum ein Anlaß für giftige Bemerkungen über ihre Kränklichkeit. Sie war wirklich krank. Was auf den ersten Blick an ihr auffiel – das war ihre krankhafte, nervöse, rastlose Unruhe. Ach! Die Ärmste litt außerordentlich, und alles sollte sich in der Folge aufklären. Indem ich jetzt auf die Vergangenheit zurückblicke, möchte ich nicht mehr behaupten, sie sei die Schönheit gewesen, als die sie mir damals erschien. Vielleicht war sie sogar überhaupt nicht schön. Hochgewachsen, dünn, aber geschmeidig und stark, überraschte sie sogar durch die Unregelmäßigkeit ihrer Züge. Ihre Augen waren irgendwie schräg geschnitten, ähnlich wie bei den Kalmücken; sie hatte einen dunklen Teint und hohe Backenknochen, ihr Gesicht war mager und bleich; und doch lag in diesem Gesicht etwas Siegesbewußtes und Anziehendes! Eine Macht sprach aus dem feurigen Blick ihrer dunklen Augen; wo immer sie erschien, erschien sie »als Siegerin und um zu siegen«. Sie wirkte hochmütig und manchmal sogar vermessen; ich weiß nicht, ob es ihr gelang, ein guter Mensch zu sein; aber ich weiß, daß sie es sich sehnlichst wünschte und qualvoll bemüht war, sich wenigstens dann und wann zur Güte zu zwingen. In dieser Natur lagen selbstverständlich viel edles Streben und viele allerbeste Ansätze; aber alles in ihr suchte gleichsam ewig nach Ausgleich, ohne ihn zu finden, alles war Chaos, Bewegung, Unruhe. Vielleicht stellte sie allzu hohe Anforderungen an sich selbst, ohne in sich die Kraft zu finden, diesen Anforderungen zu genügen.
Sie setzte sich auf den Diwan und sah sich im Zimmer um.
»Warum wird mir in solchen Minuten immer schwer ums Herz, können Sie mir das sagen, gelehrter Herr? Ich habe mein Leben lang gedacht, daß ich mich Gott weiß wie freuen werde, wenn ich Sie wiedersehe und mich an alles erinnere, und jetzt freue ich mich irgendwie überhaupt nicht, obwohl ich Sie liebe … Mein Gott, da hängt ein Portrait von mir! Reichen Sie es mir, ich kenne es, ich kenne es noch!«
Dieses ausgezeichnete Aquarell, eine Miniatur, das die zwölfjährige Lisa darstellte, hatten die Drosdows vor neun Jahren aus Petersburg Stepan Trofimowitsch geschickt. Seitdem hing es bei ihm an der Wand.
»War ich wirklich ein so hübsches Kind? Ist das wirklich mein Gesicht?«
Sie stand auf und betrachtete sich, das Portrait in der Hand, im Spiegel.
»Nehmen Sie es, schnell!« rief sie, indem sie das Portrait zurückgab. »Hängen Sie es jetzt nicht auf, später, ich mag es überhaupt nicht sehen.« Sie setzte sich wieder auf den Diwan.
»Ein Leben geht vorbei, dann beginnt ein anderes, dann geht auch das andere vorbei, dann beginnt ein drittes, und so ohne Ende. Und jedes wie mit der Schere abgeschnitten. Sehen Sie, das sind altbekannte Sachen, von denen ich rede, aber es ist so viel Wahres darin!«
Sie lächelte und sah mich an; sie hatte mich bereits schon einige Male angesehen, aber Stepan Trofimowitsch war so aufgeregt, daß er völlig vergaß, mich, wie versprochen, ihr vorzustellen.
»Aber warum hängt mein Portrait unter Dolchen? Und warum haben Sie überhaupt so viele Dolche und Säbel?«
An der Wand hingen wirklich, ich weiß nicht, wozu, zwei gekreuzte Jatagans und darüber ein echter Tscherkessensäbel. Bei ihrer Frage sah sie mich so direkt an, daß ich mich schon bewogen fühlte, darauf zu antworten, mich aber im letzten Moment beherrschte. Stepan Trofimowitsch besann sich endlich und stellte mich ihr vor.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte sie, »ich freue mich sehr. Maman hat auch schon viel von Ihnen gehört. Machen Sie sich auch mit Mawrikij Nikolajewitsch bekannt. Er ist ein wunderbarer Mensch. Ich hatte von Ihnen schon eine komische Vorstellung: Sie sind doch Stepan Trofimowitschs Konfident?«
Ich errötete.
»Ach, verzeihen Sie bitte, ich habe ein falsches Wort gebraucht; natürlich überhaupt keine komische, sondern …« (Sie wurde verlegen und errötete.) »Sie brauchen übrigens nicht verlegen zu werden, nur weil Sie ein wunderbarer Mensch sind? Aber für uns wird es Zeit, Mawrikij
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