Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
stammelte er darauf mit vor Freude versagender Stimme, »ich hatte vorhin gerufen: ›Wer tröstet mich?‹, und da ertönte Ihre Stimme … Ich halte das für ein Wunder et je commence à croire .«
»En Dieu? En Dieu, qui est là-haut et qui est si grand et si bon ? Sie sehen, ich weiß alle Ihre Lektionen noch auswendig! Mawrikij Nikolajewitsch, wie hat er mich damals den Glauben gelehrt en Dieu, qui est si grand et si bon! Und erinnern Sie sich noch an Ihre Erzählungen; wie Columbus Amerika entdeckte und wie alle geschrien hätten: ›Land! Land!‹? Aljona Frolowna, meine Kinderfrau, sagt, daß ich darauf in der Nacht phantasiert und im Traum geschrien hätte: ›Land! Land!‹ Und erinnern Sie sich, wie Sie mir die Geschichte vom Prinzen Hamlet erzählten? Und erinnern Sie sich, wie Sie mir schilderten, wie arme Auswanderer aus Europa nach Amerika verschifft würden? Das stimmte alles nicht, später habe ich genau erfahren, wie sie verschifft werden, aber seine Lügen von damals, Mawrikij Nikolajewitsch, waren fast schöner als die Wahrheit. Warum sehen Sie Mawrikij Nikolajewitsch so an? Er ist der beste und treueste Mensch auf dem ganzen Erdball, und Sie müssen ihn unbedingt ebenso lieben wie mich! Il fait tout ce que je veux . Aber, liebster Stepan Trofimowitsch, Sie sind wieder einmal unglücklich, wenn Sie mitten auf der Straße nach einem Tröster rufen! Sie sind unglücklich, nicht wahr? Nicht wahr?«
»Jetzt bin ich glücklich …«
»Die Tante behandelt Sie schlecht?« fuhr sie fort, ohne ihm zuzuhören. »Immer dieselbe böse, ungerechte und für uns ewig unschätzbare Tante! Und erinnern Sie sich noch, wie Sie im Garten in meine Arme flogen und ich Sie tröstete und weinte – aber Sie brauchen doch vor Mawrikij Nikolajewitsch keine Angst zu haben; er weiß alles über Sie, alles! Schon seit langem. Und Sie können sich an seiner Schulter ausweinen, so lange Sie wünschen, und er wird stehenbleiben, solange Sie wünschen! … Lüften Sie den Hut, nehmen Sie ihn nur für einen Moment ab, heben Sie den Kopf, stellen Sie sich auf die Fußspitzen, ich möchte Sie auf die Stirn küssen, wie ich Sie zum letzten Mal geküßt habe, als wir Abschied nahmen. Sehen Sie, das Fräulein dort am Fenster hat ihre Freude an uns … Aber näher, näher! Mein Gott, wie grau er ist!«
Und sie beugte sich aus dem Sattel herab und küßte ihn auf die Stirn.
»Nun, und jetzt zu Ihnen nach Hause! Ich weiß, wo Sie wohnen. Ich bin sofort, sofort da. Ich statte Ihnen, Sie Starrkopf, als erste einen Besuch ab und werde Sie dann für den ganzen Tag zu uns entführen. Also gehen Sie und treffen Sie Anstalten, mich zu empfangen.«
Und sie sprengte mit ihrem Kavalier davon. Wir kehrten um. Stepan Trofimowitsch setzte sich auf den Diwan und brach in Tränen aus.
»Dieu, Dieu!« rief er immer wieder aus. » Enfin une minute de bonheur !«
Höchstens zehn Minuten später erschien sie, wie versprochen, in Begleitung ihres Mawrikij Nikolajewitsch.
» Vous et le bonheur, vous arrivez en même temps «, begrüßte er sie, sich erhebend.
»Hier ist ein Bouquet für Sie; ich war soeben bei Madame Chevalier, man wird bei ihr den ganzen Winter über Namenstagsträuße bekommen. Und hier ist Mawrikij Nikolajewitsch, machen Sie sich bitte bekannt. Ich wollte eigentlich einen Kuchen statt Blumen mitbringen, aber Mawrikij Nikolajewitsch behauptet, das sei nicht russische Art.«
Dieser Mawrikij Nikolajewitsch war Hauptmann der Artillerie, etwa dreiunddreißig, hochgewachsen, ein schöner Mensch von untadeligem Äußeren, mit einer achtunggebietenden und auf den ersten Blick sogar strengen Physiognomie, trotz der ihm eigenen erstaunlichen und überaus taktvollen Güte, die jedermann fast in der ersten Minute der Bekanntschaft mit ihm spürte. Im übrigen war er schweigsam, wirkte sehr kaltblütig und drängte sich mit seiner Freundschaft nicht auf. Später behaupteten viele bei uns, er wäre beschränkt; eigentlich war das nicht gerechtfertigt.
Ich werde die Schönheit Lisaweta Nikolajewnas nicht beschreiben. Die ganze Stadt redete schon von ihrer Schönheit, obwohl einige unserer Damen und jungen Damen empört protestierten. Unter ihnen waren manche, die Lisaweta Nikolajewna bereits glühend haßten, und zwar erstens wegen ihres Stolzes: die Drosdows hatten fast überhaupt noch nicht angefangen, Besuche zu machen, was als beleidigend empfunden wurde, obwohl es tatsächlich an dem Gesundheitszustand Praskowja Iwanownas lag.
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