Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
Er wurde umarmt und geküßt, die ganze Stadt machte ihm ihre Aufwartungen. Man erwog sogar, zusammenzulegen und ihm zu Ehren ein Bankett zu veranstalten, und nahm lediglich auf seine dringenden Bitten hin von diesem Gedanken wieder Abstand – vielleicht, weil man schließlich kapierte, daß immerhin ein Mann an der Nase herumgeführt worden war und daß dies keinen rechten Anlaß für einen Triumph bot.
    Aber wie war so etwas möglich? Wie konnte so etwas geschehen? Besonders bemerkenswert war der Umstand, daß niemand bei uns in der ganzen Stadt diese absurde Handlung auf geistige Umnachtung zurückführte. Folglich war man geneigt, Nikolaj Wsewolodowitsch auch bei gesundem Verstand ein solches Verhalten zuzutrauen. Ich für meine Person habe sogar bis heute dafür keine Erklärung, sogar ungeachtet jener bald darauf folgenden Begebenheit, die scheinbar alles erklärte und alle (wie es damals aussah) versöhnte. Ich füge hinzu, daß Nikolaj Wsewolodowitsch vier Jahre später auf meine vorsichtige Frage nach diesem Zwischenfall im Club stirnrunzelnd antwortete: »Ja, ich war damals nicht ganz gesund.« Aber ich will nicht vorgreifen.
    Mich beschäftigte auch jener Ausbruch allgemeinen Hasses, mit dem alle bei uns über den »Unruhestifter und Bretteur aus der Metropole« herfielen. Man wollte unbedingt einen dreisten Vorsatz und die wohlüberlegte Absicht sehen, die ganze Gesellschaft auf einmal zu treffen. Dieser Mensch muß tatsächlich keinem etwas recht gemacht, ganz im Gegenteil, alle gegen sich aufgebracht haben – aber wodurch eigentlich? Bis zu dem jüngsten Zwischenfall hatte er sich mit niemandem überworfen und war niemandem zu nahe getreten, hatte sich vielmehr so artig benommen wie der Kavalier auf einer Modezeichnung, wenn dieser nur reden könnte. Ich nehme an, daß es der Stolz war, der ihn so verhaßt machte. Sogar unsere Damen, die mit dem Vergöttern angefangen hatten, erhoben jetzt gegen ihn ein noch ärgeres Wutgeschrei als die Männer.
    Warwara Petrowna war furchtbar bestürzt. Später gestand sie Stepan Trofimowitsch, daß sie dies alles längst geahnt hätte, das ganze letzte halbe Jahr, Tag für Tag, und sogar etwas »gerade in dieser Art« – ein bemerkenswertes Bekenntnis von seiten der leiblichen Mutter. “Nun fängt es an!” dachte sie schaudernd. Am Morgen nach dem verhängnisvollen Abend im Club leitete sie behutsam, aber auch entschlossen eine Aussprache mit ihrem Sohn ein, wobei die Ärmste trotz aller Entschlossenheit am ganzen Leibe zitterte. Sie hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, hatte sogar in aller Frühe Stepan Trofimowitsch aufgesucht, um sich bei ihm Rat zu holen, und war bei ihm in Tränen ausgebrochen, was noch niemals in Gegenwart anderer vorgekommen war. Sie wünschte, daß Nicolas ihr wenigstens etwas sagen, sich wenigstens zu einer Erklärung herablassen möchte. Nicolas, seiner Mutter gegenüber stets höflich und ehrerbietig, hörte ihr eine Zeitlang mit finsterer Miene, jedoch sehr ernst, zu, stand plötzlich auf, küßte ihr wortlos die Hand und verließ das Zimmer. Und ausgerechnet am selben Tag, abends, ereignete sich der nächste Skandal, der, wenn auch weniger schlimm und befremdlich, nichtsdestoweniger bei der herrschenden Stimmung das entrüstete Lamento in der Stadt noch lauter werden ließ.
    Diesmal war unser Freund Liputin an der Reihe. Er erschien bei Nikolaj Wsewolodowitsch, unmittelbar nach dessen Aussprache mit seiner Mutter, und bat ihn inständig um die Ehre seines Besuchs bei einer kleinen Abendgesellschaft anläßlich des Geburtstags seiner Frau. Warwara Petrowna hatte schon lange mit Mißbehagen Nikolaj Wsewolodowitschs Neigung zu Bekanntschaften unter seinem Stand beobachtet, wagte aber nicht, ihm Vorhaltungen zu machen. Er hatte inzwischen noch weitere Bekanntschaften in dieser drittrangigen Schicht unserer Gesellschaft angeknüpft, sogar noch darunter – aber er neigte eben dazu. Liputin hatte er bisher noch nicht zu Hause besucht, obwohl er sich gelegentlich mit ihm traf. Er erriet, daß Liputin ihn heute aufgrund des gestrigen Skandals im Club einlud und als ortsansässiger Liberaler über diesen Skandal hocherfreut und aufrichtig davon überzeugt war, daß Clubvorstände grundsätzlich auf solche Art behandelt werden müßten und daß dies ganz in der Ordnung sei. Nikolaj Wsewolodowitsch lachte und versprach zu kommen.
    Es versammelten sich viele Gäste; kaum ansehnliche Leute, aber lauter aufgewecktes Volk. Der ehrgeizige

Weitere Kostenlose Bücher