Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
auf, ohne irgendwo hängenzubleiben und ohne etwas umzustoßen, die Tür stieß er nur einen Spalt breit auf, so daß er sich seitwärts fast hindurchzwängen mußte. Dabei fiel der widerspenstige Haarwirbel am Hinterkopf besonders auf.
Darauf hörte man einen furchtbaren Schrei, der allen anderen Schreien zuvorkam. Ich sah, wie Lisaweta Nikolajewna zuerst ihre maman an der Schulter packte, Mawrikij Nikolajewitsch bei der Hand, und sie zwei-, dreimal ruckartig hinter sich her aus dem Zimmer zu ziehen versuchte, dann aber plötzlich aufschrie und der Länge nach ohnmächtig zu Boden stürzte. Heute noch glaube ich zu hören, wie sie mit dem Hinterkopf auf dem Teppich aufschlug.
Zweiter Teil
Erstes Kapitel
Die Nacht
I
Es vergingen acht Tage. Jetzt, da alles schon vorüber ist und ich die Chronik schreibe, wissen wir schon, worum es sich handelte; damals aber wußten wir es noch nicht, und es war natürlich, daß manches uns sonderbar erschien. Zumindest wir beide, Stepan Trofimowitsch und ich, zogen uns in der ersten Zeit hinter verschlossene Türen zurück und stellten erschrocken unsere Beobachtungen aus der Distanz an. Ich freilich machte immer noch den einen oder anderen Gang und versorgte ihn wie früher mit den verschiedensten Nachrichten, ohne die er einfach nicht leben konnte.
Es versteht sich von selbst, daß in der Stadt die mannigfaltigsten Gerüchte kursierten – das heißt über die Ohrfeige, über Lisaweta Nikolajewnas Ohnmacht und über die anderen Ereignisse jenes Sonntags. Aber eines fanden wir verwunderlich: Durch wen konnte das alles so schnell und so genau nach außen dringen? Keine der damals anwesenden Personen, schien es, konnte, weder gezwungenermaßen noch um des Vorteils willen, das Geheimnis des Vorgefallenen preisgegeben haben. Dienstboten waren nicht zugegen gewesen; allein Lebjadkin hätte etwas ausschwatzen können, weniger aus bösem Willen, denn er war damals äußerst erschrocken weggegangen (und die Angst vor dem Feind macht sogar den Haß gegen ihn zunichte), als vielmehr einzig aus Unbeherrschtheit. Lebjadkin aber war, samt seiner Schwester, am nächsten Tag spurlos verschwunden; im Haus Filippow war er nicht mehr zu finden, er war, unbekannt wohin, verzogen und schien wie vom Erdboden verschluckt. Schatow, bei dem ich mich nach Marja Timofejewna erkundigen wollte, hatte sich hinter verschlossene Türen zurückgezogen, hatte, wie es schien, diese ganzen acht Tage seine Behausung nicht verlassen und sogar seine Beschäftigung in der Stadt unterbrochen. Mich hat er nicht empfangen. Ich wollte ihn am Dienstag aufsuchen und klopfte an seine Tür. Es erfolgte keine Antwort, aber die untrüglichen Beweise seiner Anwesenheit veranlaßten mich, ein zweites Mal zu klopfen. Da sprang er auf, offenbar vom Bett, trat mit langen Schritten an die Tür und rief mir lautstark zu: »Schatow ist nicht zu Hause.« Darauf ging ich wieder.
Stepan Trofimowitsch und ich blieben schließlich, nicht ohne Scheu wegen der Kühnheit unserer Annahme, jedoch uns gegenseitig ermutigend, bei einem Gedanken stehen: Wir entschieden uns dafür, daß allein Pjotr Stepanowitsch der Urheber der kursierenden Gerüchte sein könne, obwohl er selbst nach kurzer Zeit, bei einer Unterhaltung mit seinem Vater, lebhaft versichert hatte, er habe die Geschichte bereits in aller Munde angetroffen, insbesondere im Club, und auch der Gouverneursgattin und ihrem Gemahl als bis in die kleinsten Einzelheiten wohlbekannt. Folgendes war ebenfalls bemerkenswert: Gleich am nächsten Tag, am Montag gegen Abend, begegnete ich Liputin, der bereits über alles bis auf die letzte Silbe Bescheid wußte, folglich als einer der ersten unterrichtet worden war.
Viele Damen (und zwar die vornehmsten) brannten vor Neugierde auch wegen der »geheimnisvollen Hinkenden« – wie Marja Timofejewna allgemein genannt wurde. Es fanden sich sogar nicht wenige, die sie unbedingt sehen und ihre persönliche Bekanntschaft machen wollten, so daß die Herrschaften, die sich beeilt hatten, die Geschwister Lebjadkin zu verstecken, offensichtlich richtig gehandelt hatten. Aber im Vordergrund stand trotzdem die Ohnmacht Lisaweta Nikolajewnas, wobei »tout le monde« sich allein schon deshalb dafür interessierte, weil die Angelegenheit Julija Michajlowna unmittelbar anging, als eine Verwandte und Gönnerin Lisaweta Nikolajewnas. Und was wurde nicht alles zusammengeschwatzt! Das Geschwätz wurde durch mysteriöse Umstände gefördert: Beide Häuser waren
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