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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Ereignisse meiner Chronik, und zwar nun mit einem gewissen Einblick in die Lage der Dinge, sozusagen, wie sie sich heute darstellen und sich erklären lassen. Ich beginne mit dem achten Tag nach jenem Sonntag, das heißt mit dem Montagabend – weil eigentlich mit diesem Abend die »neue Geschichte« ihren Anfang nahm.
    III
    Es war sieben Uhr abends, Nikolaj Wsewolodowitsch saß allein in seinem Kabinett – einem Zimmer, das er schon früher bevorzugt hatte, einem hohen, mit Teppichen ausgelegten Raum, der mit etwas schwerfälligen Möbeln alter Façon eingerichtet war. Er saß auf einem Sofa in der Ecke, gekleidet wie zum Ausgehen, obwohl er dies anscheinend nicht beabsichtigte. Auf dem Tisch vor ihm stand eine Lampe mit Schirm. Die Seitenwände und Ecken des großen Raumes lagen im Schatten. Sein Blick war nachdenklich und gesammelt, nicht eigentlich ruhig; das Gesicht müde und ein wenig schmaler geworden. Er hatte tatsächlich ein Zahngeschwür gehabt; aber das Gerücht von einem ausgeschlagenen Zahn war eine Übertreibung. Der Zahn hatte sich nur gelockert, saß aber jetzt wieder fest; auch die Oberlippe war innen aufgeplatzt, aber auch das war jetzt verheilt. Das Zahngeschwür konnte nur deshalb die ganze Woche nicht verheilen, weil der Kranke sich weigerte, den Arzt zu empfangen und es rechtzeitig aufschneiden zu lassen, sondern gewartet hatte, bis das Geschwür von selbst aufging. Er hatte nicht nur den Arzt nicht empfangen, sondern auch seine Mutter kaum zu sich gelassen, und wenn, dann nur einmal am Tag und nur, wenn es bereits dämmerte, aber die Lampen noch nicht angezündet worden waren. Er weigerte sich ebenso, Pjotr Stepanowitsch zu empfangen, obwohl dieser täglich zwei- oder dreimal bei Warwara Petrowna kurz vorsprach, solange er in der Stadt war. Und nun, am Montag, nachdem er vormittags nach dreitägiger Abwesenheit zurückgekehrt war, die ganze Stadt abgeklappert und bei Julija Michajlowna zu Mittag gespeist hatte, erschien er gegen Abend endlich bei der ihn ungeduldig erwartenden Warwara Petrowna. Das Verbot war aufgehoben, Nikolaj Wsewolodowitsch empfing wieder. Warwara Petrowna begleitete den Gast persönlich bis zu der Tür ihres Sohnes; sie hatte das Wiedersehen der beiden schon lange gewünscht, und Pjotr Stepanowitsch hatte ihr ehrenwörtlich versprochen, nach dem Besuch bei Nicolas bei ihr vorbeizuschauen und ihr alles zu erzählen. Schüchtern klopfte sie bei Nikolaj Wsewolodowitsch an und wagte, da eine Antwort ausblieb, die Tür etwa zwei Werschki weit zu öffnen.
    »Nicolas, darf ich Pjotr Stepanowitsch zu dir hineinbitten?« fragte sie leise und zurückhaltend, wobei sie sich bemühte, Nikolaj Wsewolodowitschs Gesicht hinter der Lampe genau zu erkennen.
    »Sie dürfen, Sie dürfen, natürlich dürfen Sie!« rief laut und lustig Pjotr Stepanowitsch, stieß eigenhändig die Tür auf und trat ein.
    Nikolaj Wsewolodowitsch hatte nicht das Klopfen an der Tür, sondern nur die schüchterne Frage seiner Mutter gehört und kam nicht mehr dazu zu antworten. In dieser Minute lag vor ihm ein von ihm soeben gelesener Brief, über dem er in Gedanken versunken war. Er zuckte zusammen, als er den unerwarteten Ausruf Pjotr Stepanowitschs hörte, und legte schnell einen Briefbeschwerer, den er gerade in der Hand hatte, auf den Brief, aber es gelang nicht ganz: Eine Ecke des Briefbogens und fast das ganze Couvert schauten darunter hervor.
    »Ich habe absichtlich möglichst laut gerufen, damit Sie Zeit haben, sich darauf einzustellen«, flüsterte Pjotr Stepanowitsch eilig und mit erstaunlicher Naivität, wobei er zum Tisch lief und sogleich den Briefbeschwerer und die Ecke des Briefbogens anstarrte.
    »Und haben dabei natürlich erspäht, wie ich vor Ihnen einen soeben erhaltenen Brief unter dem Briefbeschwerer verstecken wollte«, sagte Nikolaj Wsewolodowitsch ruhig, ohne sich von der Stelle zu rühren.
    »Einen Brief? Gott mit Ihnen und mit Ihrem Brief! Was geht der mich an?« rief der Besucher. »Aber … Hauptsache …«, flüsterte er wieder, indem er sich nach der bereits geschlossenen Tür umdrehte und mit dem Kopf in ihre Richtung nickte.
    »Sie lauscht niemals«, bemerkte Nikolaj Wsewolodowitsch kühl.
    »Und wenn sie schon lauschte!« Pjotr Stepanowitsch nahm sofort den Faden auf, hob munter die Stimme und ließ sich in einem Sessel nieder. »Ich hätte gar nichts dagegen. Ich bin nur jetzt hierhergeeilt, um mit Ihnen unter vier Augen zu sprechen … Endlich bin ich zu Ihnen

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