Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
genäht und auch noch so plump inszeniert.«
    »Das meine ich nicht. Wissen Sie, das war alles absichtlich mit weißem Faden genäht, damit es denen auffällt … denen es auffallen sollte. Verstehen Sie das?«
    »Nein, das verstehe ich nicht.«
    » Tant mieux . Passons. Heute bin ich sehr gereizt.«
    »Aber warum haben Sie denn mit ihm gestritten, Stepan Trofimowitsch?« fragte ich vorwurfsvoll.
    » Je le voulais convertir . Sie können ruhig darüber lachen. Cette pauvre tante, elle entendra de belles choses ! O mein Freund, können Sie mir glauben, daß ich mich vorhin als Patriot gefühlt habe! Ich war mir übrigens stets bewußt, ein Russe zu sein … aber ein echter Russe kann ja gar nicht anders sein als wir, Sie und ich. Il y a là-dedans quelque chose d’aveugle et de louche .«
    »Gewiß«, pflichtete ich bei.
    »Mein Freund, die wirkliche Wahrheit ist immer unwahrscheinlich, wissen Sie das? Um die Wahrheit wahrscheinlicher zu machen, muß sie unbedingt mit Lüge vermengt werden. Die Menschen haben immer so gehandelt. Vielleicht ist darin etwas, das wir nicht begreifen, was meinen Sie, ist da etwas, in diesem triumphierenden Gewinsel, das wir nicht begreifen? Ich wünschte, es wäre so. Ich wünschte es.«
    Ich schwieg. Auch er schwieg sehr lange.
    »Man sagt, der französische Geist …«, plötzlich lallte er wie im Fieber, »sei eine Lüge, es sei immer so gewesen. Warum verleumdet man den französischen Geist? Es ist einfach die russische Faulheit, unser erniedrigendes Unvermögen, eine Idee hervorzubringen, unser abstoßendes Parasitieren im Kreise der anderen Völker. Ils sont tout simplement des paresseux , und was hat das mit französischem Geist zu tun? Ach, die Russen sollten zum Wohl der Menschheit ausgerottet werden wie schädliche Parasiten! Wir haben nach etwas ganz, ganz anderem gestrebt; ich begreife nichts mehr! Begreifst du, schreie ich ihn an, begreifst du, daß die Guillotine für euch nur deshalb das Wichtigste und Begeisternde ist, weil nichts so leicht ist wie das Köpfen und nichts so schwer wie eine Idee haben! Vous êtes des paresseux! Votre drapeau est une guenille, une impuissance . Diese Wagen, oder wie ihr sagt, ›das Rattern der Wagen, die der Menschheit Brot bringen‹, sind nützlicher als die Sixtinische Madonna oder so ähnlich … une bêtise dans ce genre . Aber begreifst du, schreie ich, begreifst du, daß der Mensch außer dem Glück ebenso und ebensosehr das Unglück braucht! Il rit. ›Du drechselst hier deine Bonmots, indem du deine Glieder (er drückte sich ordinär aus) auf dem Plüschsofa bettest …‹ Beachten Sie unsere Gewohnheit, daß Vater und Sohn sich duzen; das ist gut, solange beide miteinander einig sind, wie aber, wenn sie miteinander streiten?«
    Wir schwiegen abermals fast eine Minute.
    »Cher«, sagte er plötzlich abschließend und setzte sich rasch auf, »wissen Sie, daß alles das ganz bestimmt irgendwie mit irgend etwas enden wird?«
    »Unbestreitbar«, sagte ich.
    » Vous ne comprenez pas . Passons. Aber … gewöhnlich endet alles auf dieser Welt irgendwie mit nichts, diesmal aber wird es ein Ende geben, unbedingt, unbedingt!«
    Er stand auf, durchmaß in heftigster Erregung das Zimmer, und als er wieder vor dem Sofa stand, ließ er sich kraftlos darauf fallen.
    Am Freitagvormittag reiste Pjotr Stepanowitsch irgendwohin in den Landkreis und blieb dort bis zum Montag. Von seiner Abreise erfuhr ich durch Liputin und zugleich beiläufig, daß die Lebjadkins, Bruder und Schwester, beide nun jenseits des Flusses, in der Töpfer-Vorstadt, wohnten. »Ich war es, der ihren Umzug bewerkstelligt hat«, fügte Liputin hinzu und erzählte mir plötzlich, ohne weiter von den Lebjadkins zu sprechen, daß Lisaweta Nikolajewna und Mawrikij Nikolajewitsch heiraten würden, was allerdings noch nicht allgemein bekannt sei, obwohl die Verlobung bereits stattgefunden habe und die Sache als unumstößlich sicher gelten dürfe. Am nächsten Tag begegnete ich Lisaweta Nikolajewna, die zum ersten Mal nach ihrer Krankheit ausritt, in Begleitung von Mawrikij Nikolajewitsch. Ihre Augen funkelten mir schon von weitem entgegen, und sie nickte mir sehr freundschaftlich zu. All das berichtete ich Stepan Trofimowitsch; eine gewisse Aufmerksamkeit schenkte er nur der Nachricht über die beiden Lebjadkins.
    Und nun, nachdem ich unsere rätselvolle Lage während dieser acht Tage, die wir noch ahnungslos waren, geschildert habe, schreite ich zur Schilderung der folgenden

Weitere Kostenlose Bücher