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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
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erkunden und deine »Konfliktschwelle hochzumauern«. Diese Gespräche würden er oder einer seiner Kollegen während der gesamten »Wohngruppenphase« und, falls »deinerseits Bedarf« bestünde, auch etwas länger, regelmäßig mit dir führen, zwei- bis dreimal pro Woche; das hinge davon ab, wie ihr vorankämt. Die dritte Triadenstufe wäre dann der»Schritt in die völlige Selbständigkeit, also Wohnungs- und Arbeitssuche, Behördenkram«. Über diesen letzten Monat verteilt, fänden noch vier weitere, »spontan anberaumte Kontrollen auf opioide Substanzen« statt, und schon hättest du es geschafft. Joe ließ dich, während er sprach, nicht einen Moment aus den Augen, klatschte, nach einer Atempause, die weder du noch ich für eine Zwischenfrage zu nutzen wußten, einmal in die Hände und befahl: »So, Harry, du kommst jetzt mit mir. Du, Soja, wartest hier.«
    Ich saß allein auf meinem Klappstuhl und dachte darüber nach, ob Joe wirklich Joe hieß und wohin er dich wohl gebracht haben und was er dort von dir wollen könnte und warum er die Kontrollettis, die sein Plan vorsah, als »Begleitgroupies« verspottete und wie schwachsinnig die Wortkreation »arschklar« war, erst recht, wenn sie aus dem schmallippigen Breitmaul eines pseudoautoritären Laubfroschs kam, der sich auch noch Joe nennen ließ, ausgerechnet Joe.
    Dann erhob ich mich, ging jedoch nicht rauchen, sondern in dem Zimmer umher, das offensichtlich gerade erst eingerichtet und bezogen worden war. Es gab keine Grünpflanze, in den Regalen kein Buch, nicht einmal eine Henkeltasse oder ein Stofftierchen, kein Bild, außer dem vom Comandante, nicht auf der Resopalplatte des Schreibtisches und nicht an den frisch geweißten Rauhfasertapeten, nur einen riesigen, dezent für das populärste Produkt eines Westberliner Pharmakonzerns werbenden Monatskalender, dessen aktuelles Blatt jemand, vermutlich Joe, in kleiner, akkurater Handschrift mit roten, blauen, grünen Zahlen, Buchstaben, Punkten und Liniengefüllt hatte. Ich studierte die Zeichen eine Weile, wußte mir das pedantische Chaos aber nicht zu deuten.
    Als ihr zurückkamt, hattest du rote Flecken im bleichen, feucht glänzenden Gesicht und machtest dennoch einen irgendwie erleichterten Eindruck. Auch Joes Miene wirkte nicht mehr ganz so gewollt grimmig, sein Blick stumpfer, womöglich gar ein wenig enttäuscht oder einfach nur müde. Uns beide Hände hinstreckend, dir seine rechte, mir seine linke, sprach Joe: »Seht zu, daß ihr es schafft bis Freitag um neunzehn Uhr. Ich möchte die gesamte Gruppe hier haben. Ist ja nicht auszuschließen, daß tatsächlich mal Berufstätige darunter sind, deswegen der späte Termin. Die Initiative, Soja, liegt bei dir. Auf Harrys bucklige Bekanntschaft werden wir wohl kaum zurückgreifen können. Und sag deinen Leuten, daß es pro Stunde, die sie Harry widmen, eine Mark Aufwandsentschädigung gibt, plus Fahrgeld und einer Pauschale für Essen, Waschmittel, Briefmarken. Das dürfte ihnen die Entscheidung ein wenig erleichtern.«
    Joe ließ mich los, aber dich noch nicht – und ulkig verdreht, wie ein Komiker, der Kleiner-Mann-guckt-durchs-Teleskop spielt, stand er vor dir, versuchte, obwohl du den Kopf gesenkt hieltest, in deine Augen zu blicken. »Du kommst morgen um elf wieder zur Urinkontrolle und an jedem der folgenden Tage auch, bis ich es neu festlege. Wenn das nicht klappt, ist der Rest der Show gestorben, und ich rufe deinen Bewährungshelfer an.«
    Nach diesen Worten dirigierte uns Joe mit rechtwinklig erhobenen Armen und gespreizten Fingern zur Tür; in deren Rahmen und dem Widerschein des grellen, flackernden Neonlichtes ähnelte seine Silhouette der eines gestellten Verbrechers – oder der eines Verkehrspolizisten auf einer Berliner Straßenkreuzung bei Einbruch der Dunkelheit.
    Während wir die Eisenacher Straße hinab- und der U-Bahn-Station entgegenliefen, legtest du mir den Arm um die Schulter, die Hand in den Ausschnitt. Dein warmer Atem an meinem Hals bewirkte, daß sich mir die Nackenhaare sträubten. »Und, Soja«, hauchtest du mir ins Ohr, »gehen wir noch einen Kakao trinken?«
    Ich schüttelte den Kopf, aber du zogst mich zum nächstbesten Lokal; und als wir über dessen Schwelle getreten waren, wolltest du plötzlich gar keinen Kakao mehr, sondern »einen doppelten Baileys mit ganz vielen Eiswürfeln«. Für mich bestelltest du, ohne daß du mich gefragt hättest, ein halben Liter Weizenbier.
    In der Nacht zum Dienstag konnte ich nicht

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