Böse Schafe: Roman (German Edition)
hielt seine besoffene Visage aus dem weit offen stehenden Fenster der schließzeitlosen Kneipe an der Ecke Waldstraße/Turmstraße, blinzelte verstört, wich zurück, schloß den Vorhang und war von der Welt getrennt. Auf ein blühendes Rotdornbäumchen kam ein Schwarm Spatzen zugeschwirrt; die Vögelchen ließen sich nieder in dessen Zweigen und begannen zu schimpfen, nicht laut, eher ängstlich-schrill, als wüßten sie, daß sie gerade das Falsche taten, aber nicht, was das richtige wäre. Der Glasbruch, mit dem das Deck eines am Westhafen vor Anker liegenden Kahns hoch beladen war, funkelte so verlockend bösartig, daß ich weder genauer hin- noch konsequent wegsehen konnte.
Ich setzte mich auf die Kaimauer, entzündete die nächste Zigarette am Stummel der vorigen und schaute über das Wasser der Spree. Die Wärme der Sonne lähmte den, wie ich glaubte, schon bald zu sinnvoller Aktivität heranreifenden Aktivismus, der seit deinem Erscheinen mehr als du selbst von mir Besitz ergriffen hatte. Stimmte es vielleicht nicht, daß mir eine Aufgabe zugefallen, ja geschenkt worden war, daß ich endlich mal wieder kämpfen konnte, wie ich es bislang immer gekonnt hatte, nicht gegen etwas, sondern um jemanden, der mich brauchte, dessen »Schicksal«, wie er, wenngleich lachend, gesagt hatte, nun »in meinen Händen« lag?! Ich sah dein schlafendes Gesicht vor mir, so blaß, so voller Vertrauen in mich, daß auch ich zu hoffen wagte, die nächsten Wochen und Monate würden märchenhaft, ein Kinderspiel – mit einer zehnköpfigen, also drachenstarken Mannschaft, zu der uns, dir, mir, Christoph und Joe, bloß noch sechs Häupter fehlten.
Kurz nach acht Uhr bezahlte ich am Tresen der Westhafenkantine ein Tetrapack Kakao und eine halbe Hackepeterschrippe und setzte den Spaziergang, zu dem ab jetzt womöglich mein ganzes weiteres Leben würde, sehr gemächlich fort.
Um zehn war ich wieder am U-Bahnhof Turmstraße. Und da ich fürchtete, daß außer Christoph kaum einer von denen, die ich für unsere Sache gewinnen wollte, vor elf Uhr wach wäre, erstand ich bei Karstadt noch ein Portemonnaie, das ebenso billig war und aussah wie das verlorengegangene, und einen ziemlich teuren roten Bademantel, denn du solltest meinen behalten dürfen; aber ich würde auch einen brauchen, wenigstens ab und an.
»Muß das durchhalten, egal wie. Um so schöner wird’s wieder. Mehr als abends zwei, drei Faustan sind nicht drin, wenn Triaden-Joe es nicht bald mal bleiben läßt, seinen Pappenheimern beim Pissen auf den Schwanz zu glotzen. Aber warum sollte er? Dürfte schwer sein, dem eine gefakte Urinprobe unterzujubeln, der kennt die Tricks, ist kein Sozialarbeiter. Und richtig verduften, nach Spananien oder so, geht nicht, mangels Asche. Mit den Bimboaugen, die ich jetzt habe, kauft mir kein Aas was ab.«
Du warst wieder nicht zu Hause; doch ich wußte ja, daß du Punkt elf bei Joe zu sein hattest und frühestens in einer Stunde zurück sein konntest. Also setzte ich mich hin, zog mir das Telefon in den Schoß. Sonst fing ich immer mit dem Schwersten an, aber diesmal war das Einfachste schon schwer genug. Es war mir peinlich, Menschen, die ich kaum kannte, um Hilfe zu bitten, ihnen zu offenbaren, daß ich jemanden, den ich auch kaum kannte, um jeden Preis bei mir behalten wollte und daher auf sie angewiesen war.
Christoph, dessen Nummer ich zuerst wählte, obwohl ich annahm, er sei um diese Zeit eh schon unterwegs, meldete sich nach dem zweiten Klingelton. »Du bist es, wie schön. Gerade war ich im Begriff, dich anzurufen«, sagte er fröhlich, ließ mich nicht zu Wort kommen und erzählte, daß er krank sei, »krank geschrieben«, weil die Uni nun gar nicht mehr auszuhalten sei und er Lust hätte, Bruce übers Wochenende nach London zu begleiten. Ob ich gleich noch einmal »Blumendienst schieben«, ihn also nächsten Samstag vertreten könne, fragte er.
Ich witterte Morgenluft, warf mich in seinen Redefluß: Mach ich glatt, allerdings nur, wenn du bereit bist, mir, genauer uns, in einer enorm wichtigen Angelegenheit unter die Arme zu greifen. Mit dieser Eröffnung hatte ich Christophs Aufmerksamkeit erzwungen und schafftees sogar, ein paar zusammenhängende Sätze loszuwerden über dich, mich, Triaden-Joe. Bitte, Christoph, sagte ich, du brauchst ja erst mal nur zu diesem Gruppentreffen zu kommen, danach sei meinetwegen krank oder sonstwo. Ich vertrete dich, am Stand und auch bei Harry, sooft du willst, wann immer du was Besseres
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