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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
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unterbrachst du Joe. »Was heißt hier Junkie«, krähtest du mit seltsam dünner Stimme und halb von deinem Stuhl hochgefahren, »ich unterstütze den kurdischen Befreiungskampf.«
    Schon möglich, daß du diesen Einwurf lustig gemeint hattest, doch außer Clara lachte keiner. Joe schenkte dir einen langen, gnädig-überlegenen Blick, der mehr sagte als die Worte, die ihn begleiteten: »Ist gut, Harry.«
    Nach einer Verlegenheitspause, die nicht einmal er zu genießen schien, forderte Joe, damit du wüßtest, was dir bevorstünde, jeden von uns auf, seinen Namen, seine Telefonnummer, seinen Beruf und seine »Hobbys« zu nennen. Dann fragte er bloß noch, ob wir Fragen hätten. Wir hatten keine; nur Thomas erkundigte sich, wo und wann »der Lohn für die Mühe« denn nun ausbezahlt würde. »Einmal im Monat«, beschied ihm Joe, »wenn wir uns hier wiedertreffen. Also immer schön die Stunden aufschreiben. Und vergeßt nicht, der Junge muß pünktlich sein. Sollte es irgendwelche Probleme geben, ein Anruf genügt.«
    Wir waren alle Raucher und deshalb froh, daß uns Joe so bald entlassen hatte. Eine Querstraße weiter links, im Café Schwanensee, bestellten wir uns Cola oder Bier und machten nebenbei den »Harry-Plan« für die nächsten zwei Wochen. Es ging leichter, als ich es für möglich gehalten hatte, zumal ja schon klar war, daß du die Wochenenden meistens bei mir verbringen würdest und ich immer bereit wäre einzuspringen, wenn jemand mal nicht könnte.

[Menü]
IX
    In der folgenden Zeit warst du kaum einen Moment solo. Einander abwechselnd brachten wir dich zu den Therapiestunden, die du mit vier weiteren, uns nicht näher bekannten Süchtigen oder einer Triade-Kraft, meist Joe, alleine zu bestreiten hattest. Wenn du fertig warst, wartete derjenige von uns, der gerade dran war, schon draußen vor der Tür, und du mußtest ihm folgen, wohin auch immer er wollte – oder sie, in ein Kino, ein Lokal, eine Wohnung, seine, ihre, meine … Du durftest nicht mehr ohne Begleitung unterwegs sein, auch nicht zu den Urinkontrollen, die aber bald bloß noch alle zwei Tage fällig waren und manchmal nicht vom strengen Joe, sondern von diversen Praktikanten beaufsichtigt wurden.
    Diese morgendlichen Reisen in die Eisenacher Straße unternahmen fast immer wir beide, weil es sich die anderen Groupies zur Gewohnheit machten, dich prinzipiell samstags und sonntags und oft auch für die Nächte unter der Woche bei mir ab- oder einzuliefern. Ich habe nie gefragt, warum. Womöglich war ihnen, während sie schliefen, die Verantwortung zu groß, oder sie befürchteten, du könntest ihr Liebesleben belauschen, ihre Kühlschränke leer fressen, mit ihren Geldbörsen durchbrennen … Doch vielleicht wähnten sie dich bei mir, deiner festen Freundin, auch einfach nur am besten aufgehoben.
    Der erste Monat lief ganz gut. Wir lebten von meinem Arbeitslosengeld und dem Teil der schwarz verdienten Blumenkohle, die ich nicht an Christoph abdrückenmußte. Wenn ich nicht mit dir zum Pinkeln fuhr oder du anderweitig vergeben warst, putzte ich die Bude und anschließend mich heraus, kochte Suppen, erwartete dich und Clara oder dich und Juli oder dich und Frank, denn die kamen gerne noch mit hoch auf einen Teller Linsen und ein Glas Wein.
    Sobald wir dann wieder zu zweit waren, schauten wir fern, hörten Marlenes Platten oder lagen still im Dunkeln; du trankst deine Coke, ich meinen Roten. Und spätestens bei der dritten Flasche griff ich nach deinem Schwanz, von dem ich ja glaubte, er gehöre mir. Und eines Abends, ich hielt es im ersten Moment für eine akustische Halluzination, nanntest du mich Baby – und brachtest mich in Schwierigkeiten. Von dir herunterkletternd, stöhnte ich: Nenn mich nicht so, nicht Baby!
    »Warum denn nicht«, fragtest du, »Babys sind rosa, weich und süß, genau wie du. Und ein bißchen nach saurer Milch riechst du auch, mein großes, rundes Baby.«
    Darauf ich: Ich rieche nicht sauer, ich bin sauer. Sag sonstwas, nur nicht Baby.
    Doch du, Harry, hörtest gar nicht hin, sondern wiederholtest unablässig das eine blöde Wort. »Baby, Baby, Baby …«, sagtest du leise und küßtest meine Mundwinkel, derart raffiniert, daß es mir die Sprache und beinahe den Atem verschlug. Du legtest mich aufs Kreuz und dann dein Gesicht in meinen Schoß, endlich einmal. Und die unartikulierten Töne, die ich von mir gab, gegen meinen Willen, wenn ich so etwas überhaupt noch hatte, klangen wie das Weinen eines Babys, also nicht

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