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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
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hätte, sogleich in Schlaf sinken und nicht nur die erste S-Bahn verpassen würde.
    Obwohl meine Zunge pelzig war und auch schmeckte wie eine tote Maus, verspürte ich das Bedürfnis zu rauchen. Doch in meiner Umhängetasche fanden sich weder Zigaretten noch Feuerzeug, nur mein Portemonnaie, ein Pilzmesser, drei zusammengefaltete Papiertüten und eine fast leere Schachtel Streichhölzer. Also mußte ich meine angebrochene Schachtel f6 in der Schankstube oder dem Zimmer dahinter vergessen haben. Da ich ja genug Zeit hatte, wäre ich sicher noch einmal zurückgegangen, wenn nicht auch mein Portemonnaie bis auf ein paar Groschen leer gewesen wäre (Wo war mein bißchen Geld geblieben? Hatte ich in einem trunkenen Anfall von Stolz etwa doch zwei, drei Runden bezahlt?), nicht zum wahrscheinlich noch immer schnarchenden Wilhelm, sondern um an dem Automaten vor der Kneipe ein neues Päckchen zu ziehen.
    Ich würde also eine ganze Weile nicht rauchen können; dies zu begreifen, steigerte mein Verlangen so sehr, daß ich hellwach wurde und mein sonstiger Zustand mir gleichgültig. Ich tigerte den Bahnsteig entlang, suchte jeden Quadratmeter und die beiden steinernen Müllkübel nach einer schönen Kippe ab, einer womöglich fast unversehrten Zigarette, die gerade mal angezündet, aber, als die Bahn kam, weggeworfen worden und erloschen war. Ich bückte mich nach zwei, drei jämmerlichen Stummeln, die jedoch so eklig rochen, daß ich sie wieder fallen ließ, und beschloß, lieber für ein paar Stunden auf Entzug zu gehen, da entdeckte ich zwischen den Schienen ein Softpäckchen der Marke Club, das offenbar jemandem entglitten und seitlich hochkant gelandet war; es wirkte noch ziemlich prall, und aus dem Loch neben der Banderole lugten etliche Zigaretten hervor.
    Ich blickte hinauf zum grauen Himmel, und wenn ich gewußt hätte, wie man das macht, hätte ich gebetet. Meine Begeisterung und meine Gier waren so groß, daß ich an den Abstand zwischen Bahnsteigkante und Gleis keinen Gedanken verschwendete, sondern den Sprung wagte.
    Da meine Beute am inneren Schienenrand gelegen hatte, war nur die Hülle etwas feucht, die Zigaretten waren es nicht; gut, ein bißchen klamm vielleicht, aber ansonsten okay. Mit Mühe unterdrückte ich den Wunsch, ein Streichholz anzureißen und mir schon dort unten, in der, wie ich nun fand, doch erstaunlichen Tiefe, Feuer zu geben. Gleich, dachte ich, gleich nehme ich den ersten Zug. Die von dem Wort ausgelöste Assoziation brachte mir wohl etwas von meiner Vernunft zurück, denn ich steckte das Päckchen ein, umkrallte die Bahnsteigkante – und hing daran wie ein Sack. Meine Arme waren völligkraftlos und Klimmzüge nie eine meiner raren sportlichen Stärken gewesen oder geworden. So sehr ich mich abmühte, ich schaffte es nicht, mich wenigstens so weit hochzuhieven, daß ich die Ellenbogen auf den Betonvorsprung stemmen und versuchen konnte, den Rest meines Körpers eventuell auch noch auszuhebeln. Die Vergeblichkeit meiner Anstrengungen schwächte mich nur weiter, und diese gnadenlose Schwäche paarte sich mit der Angst vor der Zeit, dem Moment, in dem ich ihn würde herannahen hören, den ersten S-Bahn-Zug des Tages.
    Das, was ich dann tatsächlich hörte, was schnell näher kam und dumpf und laut dröhnte, war vielfüßiges Getrappel; wie sich herausstellte, das von Menschen, genauer blauuniformierten Männern. Als das Getrappel abbrach, ich hochschaute, erblickte ich Köpfe; Köpfe, die Schirmmützen trugen, und unter den Mützenschirmen grimmige Gesichter. Zwei Pranken ergriffen meine Arme, sehr unsanft, zogen mich hinauf – mit einer Leichtigkeit, die mich verblüffte, aber nicht freute, weil ich ja ahnte, mit wem ich es gleich zu tun haben und was nun kommen würde. – Der Zug kam, kaum daß ich oben war; einer der fünf uniformierten Männer (zwei von ihnen waren, falls ich deren Schulterstücke und Mützenbänder richtig deutete, Transportpolizisten) drehte mir den rechten Arm auf den Rücken, blitzschnell und so grob, daß ein stechender Schmerz an meinem Schultergelenk riß, und schubste mich vor sich her und die Treppe hinunter und durch die finstere, nach Ammoniak stinkende Unterführung und dann in einen an deren Ende liegenden, von einer flackernden Neonröhre beleuchteten Dienstraum.
    Der Beamte, der mich hinaufgezogen und abgeführt hatte, ein etwa dreißigjähriger, großer, untersetzter Kerl, ließ meinen Arm los, stieß mir gegen das Brustbein, erzwang so, daß ich mein

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