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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
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Kanarienvogel, ist mit dir Sauer-scharf-Suppe essen gegangen, hat dich, wie du mir einmal gestandest, manchen Abend in den Schlaf gesungen – und womöglich auch um denselben gebracht, denn allem Anschein nach gefiel sie dir, oder du warst der schlimmste Heuchler aller Zeiten.
    Und Juli, der du hin und wieder viel zu tief in die grü nen Stofftieraugen blicktest? Die schenkte dir ein angeblich selbstgeschmiedetes Silberkettchen, das du seither nie mehr abgelegt hast. Nicht nur deshalb mochte ich sie nicht, diese dumme, faule, sentimentale, magersüchtige und trotzdem ziemlich charakterlose Ziege.
    Und Frank, der keine Knastanekdoten von dir erwartete, wenn ihr stundenlang durch die Gegend streuntet, der dir Eis und Kuchen kaufte, soviel du wolltest, undSocken, die für drei brasilianische Riesentausendfüßler gereicht hätten, dem du deine fiesen Karikaturen nie gezeigt hast; womöglich, weil du immerhin ahntest, wie gut seine waren. Auf den Blättern, die dich darstellten, übrigens niemals nackt, sahst du aus wie einer, der lebt: mutig und mißmutig, traurig und komisch, schlau und dumm, und all das zugleich.
    Und Hanna, die dich lehrte, Bettbezüge zu bügeln, und – während sie dir dabei zusah – voller Spott und Sehnsucht von Erfurt erzählte, ihrer für dich sehr fernen Geburtsstadt in Thüringen, die dir ihre Rollen vorspielte und dich fragte, ob dir die Figur, die sie gerade einübte, gefiele, die dich also ernst nahm wie ihr abendliches Publikum?
    Wohl wahr, Thomas und Christoph wußten nicht allzuviel mit dir anzufangen, doch das stellte sich erst später heraus und hatte einen schwerwiegenden Grund, der sich auch erst später herausstellte. Von da an gingen auch Clara, Marlene, Hanna und selbst Juli auf Distanz zu dir, aber nicht Frank, nicht Marc, nicht ich, nicht einmal Joe, der die Bombe schließlich fallen ließ – und dich ebenso hätte fallen lassen können – aus genau diesem Grunde, auf den ich, wie du dir denken kannst, noch mal zurückkommen werde.
    Wir beide waren an jenem Freitag abend, an dem sich unsere Gruppe zum erstenmal treffen sollte, schon eine halbe Stunde vor der vereinbarten in der Eisenacher Straße. Du trugst das neue »anarchistenschwarze« Hemd, das ich dir unterwegs gekauft hatte, weil es, wie du fandest, »so sophisticated« aussah, ich die Tüte mit deinemalten Sweatshirt. Während ich bang in Richtung U-Bahnhof spähte, eine Zigarette nach der anderen rauchte und mir gelegentlich die schwitzenden Handflächen abtrocknete, indem ich dir über den breiten, vom flauschigen Feincord verhüllten Rücken fuhr, gabst du den Coolen, zogst dir den Kamm durchs Haar, kautest Pfefferminzbonbons, machtest Dehnübungen.
    Tatsächlich kamen alle, die sich bereit erklärt hatten, früh genug, warfen scheue oder neugierige Blicke auf dich und einander, begrüßten mich, stellten kaum Fragen, folgten uns den Gang hinab bis vor Joes Tür, gelassen, als erwarte sie dahinter bloß irgendein kostenloser Schnupperkurs der Volkshochschule.
    Joe, der uns Punkt neunzehn Uhr einließ, reichte wieder weder dir noch mir, noch sonstwem die Hand. Einer der drei Schreibtische, vermutlich Joes, war beiseite geschoben worden; statt dessen standen dort im Halbkreis zwölf Stühle.
    »Na, dann guten Abend. Wenn ihr nun bitte Platz nehmen wollt«, sagte Joe betont beiläufig; aber wenn ich mich recht erinnere, glomm, als unser beider Blicke einander trafen, in seinen Augen doch so etwas wie komplizenhafter Respekt vor mir oder zumindest dem organisatorischen Ehrgeiz, den ich bewiesen hatte. Denn ohne Menschen mit solcher Energie, das schien Joe genau genug zu wissen, wäre er seine sicher gut bezahlte Arbeit mangels Klientel bald los gewesen.
    Joe, der sich nicht setzte, sondern wie ein Dozent im Hörsaal vor uns auf und ab schritt, erklärte nochmals, daß er »der Joe sei, nur Joe«, und daß es etwas Geld fürdich gebe und dann den Sinn der Therapie, deren Gelingen von unser aller »Engagement« abhinge, davon, daß wir »die Regeln« einhielten, was natürlich »mehr als für jeden anderen hier« für dich gelte. »Ich weiß«, sagte Joe, »wovon ich rede. Ich hab mir selber Dope für ne schlappe Million in die Venen gejagt, und im Knast war ich auch lange genug. Du, Harry, bist aus meiner Sicht ganz am Anfang, keinen Tag älter, als du es bei deinem ersten Schuß warst. Zwölf, höchstens dreizehn bist du, und nichts und niemand, nur ein doofer, gieriger, unnützer Junkie …«
    An dieser Stelle

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