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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
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sah nicht einmal zu, wie ich Sandalen, Bluse, Rock, BH und Schlüpfer ablegte. Erst als ich schon neben ihm saß, meinen nackten Schenkel an seinem noch vom Hosenstoff umspannten wärmte, griff er nach mir, nicht stürmisch, nicht grob, sondern mit ungelenker Vorsicht, als sei ich ein Fremdkörper, der leicht beschädigt oder gar gefährlich werden könnte. Wilhelms Handflächen waren trocken und hart, die Fingerkuppen rissig, so daß jede seiner Berührungen ein wenig kitzelte;und als Wilhelm mir über den Rücken fuhr, bis hinunter zu der Stelle, an der er sich teilt, hörte ich es knistern, trotz der Kneipengeräusche, die gedämpft, doch nicht allzu leise durch die obere, helleuchtende Türritze zu uns hereindrangen. Schließlich zog auch Wilhelm seinen Ringelnicki aus, öffnete Gürtel und Reißverschluß, bugsierte mich auf die Sofakante, drückte mir mit seinen Knien die Beine auseinander, und doof, aber zielstrebig, wie ein blindes, glattes, zunächst vollkommen eigenständiges Lebewesen, grub sich sein Glied in mich hinein. Während er sich vor und zurück bewegte, ungeduldig und dennoch ohne rechte Konzentration, betrachtete ich die blaugrün-roten Darstellungen auf seinen Schultern, seiner behaarten Brust, seinen Armen. Es gab zwei flammende Herzen, ein Schiff, ein Schwert, einen leeren Galgen, eine Rose, eine Schildkröte mit breit grinsendem Maul, die mir gefiel und die ich zu streicheln versuchte; doch Wilhelm bog den rechten Oberarm, der ihr Zuhause war, so weit von mir weg, daß ich sie nur noch hätte erreichen können, wenn es mir möglich gewesen wäre, den Rumpf zu heben.
    War es in jener Nacht, in der ich dir von Wilhelm erzählen wollte, oder in einer anderen? Aber einmal habe ich dich gefragt, warum du keine einzige Tätowierung hättest, obwohl du so lange im Knast warst, und ob derlei in Westknästen vielleicht nicht üblich sei. Du erklärtest, daß sich bei euch nur die Kriminellen »gegenseitig bunt machen« würden. Doch du hättest dich, gerade weil sie dich für »Beschaffungsdelikte« und suchtbedingte Überfälle »kassiert« hätten, immer als Linken betrachtet und nicht als »Ganoven«. Es sei dir nie darum gegangen,dich zu bereichern, nur darum, dich und deinesgleichen zu »versorgen«. Und lediglich jene Drogen zu »illegalisieren«, an denen der Staat nicht mitverdienen könne oder wolle, heiße, »Linke zu kriminalisieren«, sie mit »ganz gewöhnlichen Verbrechern« auf eine Stufe zu stellen, und das sei nun wirklich verbrecherisch, denn vom Staat dürfe »keine Gewalt ausgehen«, jedenfalls nicht von einem, der sich demokratisch nenne. Die Politischen, also die Anarchos, die RAFler und die übrigen Terroristen, würden auch lange »einsitzen« und einander »trotzdem ganz bewußt« keine Bildchen stechen, außer, vielleicht, dem von der Friedenstaube. Aber so ein Friedenstaubentattoo à la Picasso, das schon Ähnlichkeit mit der – ironischerweise weniger für ihre unter den Tauben einzigartige Aggressivität als für ihr schneeweißes Gefieder bekannten – Ringeltaube haben müßte, wäre ja wohl kaum zu sehen, es sei denn auf der Haut eines schwarzen Roten, und einer von der Sorte sei dir bislang nicht begegnet, weder drinnen noch draußen.
    Wilhelm war dann doch bald fertig und ich froh, daß er es war. Er schlief ein, was sonst. Ich blieb zwei, drei Stunden neben ihm an der kalten Wand liegen, hörte ihn schnarchen, hatte Durst, fand keine Ruhe. Als das Gemurmel in der Gaststube erstarb, nur noch Gläser gegeneinanderschepperten, weil der Wirt, wie ich richtig vermutete, beim Spülen war, erhob ich mich vom Lager, suchte meine Klamotten zusammen, zog mich an, öffnete die Zimmertür und schloß sie wieder hinter mir.
    »Morjen«, sagte der Wirt.
    »Wie spät isses«, fragte ich.
    Darauf er: »Drei durch. Bald geht die erste S-Bahn.«
    Es regnete, heftiger als am Tag zuvor. Ein Blick auf den Fahrplan machte mir klar, daß ich bis zehn Minuten vor vier zu warten hatte. Fröstelnd und hundemüde stand ich am glücklicherweise überdachten Bahnsteig, wußte nicht, ob ich mich hinsetzen oder es bleibenlassen sollte. Einerseits wollte ich die Beine spreizen und von mir strecken, damit ich das Feuchte, Klebrige dazwischen nicht mehr so spürte, andererseits den faden Spermageruch, der, falls er nicht ohnehin in der Luft lag, aus meinem Schoß kam, nicht noch deutlicher wahrnehmen. Und zudem fürchtete ich, daß ich, wenn ich mich erst einmal auf einer der Bänke niedergelassen

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