Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
Vom Netzwerk:
Marlene abholen und für die Nacht wieder zu mir bringen. Aber würde sie kommen? Ich hatte sie nicht angerufen, sie nicht mich. Also würde ich, bis du fertig warst mit U-Test und Therapiegespräch, im Schwanensee sitzen – oder auch nicht. Joe forderte absolute Pünktlichkeit, doch wie wollte er kontrollieren, ob dich tatsächlich stets und ständig einer von uns begleitete? Wenn die anderen sich jetzt ganz zurückzogen und ich als einzige übrigblieb, wäre ich ja rund um die Uhr damit beschäftigt, dein Schatten zu sein. War das möglich? Müßte ich dich dann nicht auch zum Blumenstand mitnehmen, wie Franz seine fette Hündin Biene? Wollte ich das überhaupt noch? Nein, verkriechen wollte ich mich, mein Herz schlagen hören, weinen, alle drei Minuten jeden meiner Lymphknoten einzeln abtasten, darauf warten, daß ich Fieber bekam. Aber war es denn wahrscheinlich, daß ich mich bei dir angesteckt hatte? Hatte ich nicht meistens Glück gehabt im Leben und außerdem eine robuste Konstitution? Gab mir deine, nun allerdings gar nicht mehr verwunderliche sexuelle Vorsicht nicht doch die Hoffnung, blauäugig davongekommen zu sein? »Die Hoffnung«, hatte meine Oma oft gesagt, »ist der Tod.« Und wie weiter? Ich liebte dich, aber begehrte ich dich auch noch, nun, da klar war, wie es um dich stand? Und selbst wenn ich dich noch begehrte, würde ich dich küssen können, wenigstens das, ohne mich pausenlos zu fragen, ob ich vielleicht eine winzige Fissur in der Lippe, der Zunge, dem Zahnfleisch hätte; und wenn nicht ich, dann du? Würde ich es schaffen, mich an Kondome zu gewöhnen, die Angst zu besiegen, die, trotz größter Vorsicht, zu der ab jetzt auch ich gezwungen wäre, alle anderen Gefühle höhnisch dominierte? Würde ich, immer die Panik im Nacken, jemals wieder einen Orgasmus haben? Mit dir? Und falls mir übermorgen oder später ein anderer nahekäme und auch gefiele, was würde ich tun? Wie mich entziehen? Hatte ich denn noch so etwas wie Verlangen oder gar Lust? Im Moment sicher nicht, nicht einmal auf das bißchen Onanie in Christophs Badewanne. Und sollten sich derartige Bedürfnisse je wieder melden, wäre es dann nicht nur gut für mich und den oder jenen, daß die stets gegenwärtige Angst sie postwendend in die Flucht schlagen würde? Und wenn ich nun doch infiziert wäre, trotz deiner »Maßnahmen«? Was, außer meinem Leben, hätte ich zu verlieren? Ich könnte mich ja kein zweites Mal anstecken, also zumindest mit dir weiter Sex haben. Ich wäre, was ich nie über eine unbestimmte Zeit hinaus gewesen war, treu. Ich würde sterben, wenn nicht aus Angst – oder bei einem Verkehrsunfall der üblichen Art oder an dessen Folgen –, dann an dieser Scheißkrankheit, und ganz arm und jämmerlich, und leider erst nach dir. Oder nicht leider? Wenn du tot wärst und ich tieftraurig, aber noch nicht allzu hinfällig, könnte ich mir zur Not einen anderen suchen, einen, der auch Aids hat …
    Wahrscheinlich hätte ich mich diesem Gedankengemetzel nicht sobald entzogen, wenn es dem unmittelbar Bevorstehenden nicht doch gelungen wäre, die Priorität an sich zu reißen: Ich mußte zurück in meine Wohnung, nachsehen, ob ihr noch da wärt, du und mein Portemonnaie. Ich mußte versuchen, Marlene zu erreichen, sie fragen, ob sie dich abhole oder ob ihr Engagement seit gestern beendet sei, und dann, egal, was sie sagen würde, wäre es schon wieder Zeit, zur U-Bahn zu gehen.
    Du warst nicht zu Hause, aber meine Geldbörse lag dort, wo ich sie vermutet hatte, in der Schublade des Küchentischs, und als ich nachschaute, fehlte kein Schein, vielleicht einige Markstücke. Auf dem Kühlschrank entdeckte ich dann deinen Zettel: »Bin alleine los. Bis später. Harry.«
    »Bin alleine los« deutete ich als Indiz dafür, daß du indie Eisenacher Straße unterwegs warst, und entspannte mich ein wenig, obwohl du eine solche therapiewidrige Eigenmächtigkeit bislang nicht begangen hattest, jedenfalls nicht, wenn du von meiner Wohnung aus dorthin aufgebrochen warst. Doch war mir nicht eben auch der Gedanke gekommen, daß wir Joes Vorschriften allmählich etwas nachlässiger handhaben könnten?
    Ich rief Marlene an, die meinte, sie würde dich »pünktlich einsammeln«, schon um dich dies und das zu fragen. Von deinen Antworten, falls du heute und für sie welche hättest, hinge es ab, ob sie weitermache oder nicht. »Du sollst dich nicht erklären. Ich glaube dir, daß du nicht mal ahntest, in welch einen Schlamassel du uns da

Weitere Kostenlose Bücher