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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
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ein Stuhl frei blieb, bestellte, ohne daß ihn jemand dazu ermächtigt oder davon abgehalten hätte, eine Runde Wodka und eine Flasche Wasser, legte dann, um deine Augen sehen zu können und womöglich sogar in sie hinein, seinen Kopf auf die Tischplatte und sagte: »Ist das ein Bullshit.«
    Ich war völlig fertig, an denken nicht zu denken, und doch weiß ich noch, daß Marcs Worte seltsam klangen, zwiespältig, doppelzüngig, unbestimmt (nichts davon trifft es genau), wie nüchterne Feststellung und schüchterner Vorwurf in einem; ihnen nachlauschend, konzentrierte ich mich ganz auf dich, als könntest nur du mich ablenken von dir. Während ich mich fragte, ob du meine und Marcs Blicke überhaupt spürtest, ob du ihm antworten würdest, vielleicht ja wenigstens mit einer Handbewegung, merkte ich lange nicht, daß Clara, Juli und Marlene mich anstarrten. Erst als die Kellnerin, der die Brisanz der Situation offenbar nicht entgangen war, uns fast geräuschlos einen Krug Leitungswasser, zwei Sorten Gläser und eine halbvolle Flasche Moskovskaya hinstellte, wandte ich mich kurz von dir ab und Juli zu. Julis Blick war wie zuvor Marcs Worte: zwiespältig und unbestimmt – oder wie mein Blick auf dich; ich versuchte mich zu trösten, indem ich dein Problem für größer hielt als meins, und Juli schien meins für größer zu halten als ihres und gerade das sie ein wenig zu betäuben. – Es gibt Momente, da ist Mitleid nicht so schmerzhaft wie Selbstmitleid.Zumindest zerstreute Julis halb erschrockener, halb teilnahmsvoller Blick vorübergehend meinen Verdacht, daß ihr euch heimlich nähergekommen wärt.
    In der Art, wie Clara und Marlene mich anschauten, lag eher Distanz. Sie schienen mich nicht für ungefährlicher zu halten als dich, und ihre mal auf mich gerichteten, mal flink wie die Kugeln einer russischen Rechenmaschine nach links oder rechts gleitenden Pupillen verrieten, daß sie im Geiste jene Szenen mit dir und mir durchgingen, die irgendwie infektiös gewesen sein könnten. Dachten sie an Begrüßungs- und Abschiedsküßchen, Kaffeetassen, Bettlaken, Handtücher, Raucherhusten …?
    Wir wußten damals so wenig über diese neue Krankheit; eigentlich nur das, was seit Wochen in sämtlichen Blättern stand, daß eine Pandemie auf uns zukäme, daß es nicht ausschließlich sexuelle Übertragungswege gäbe, daß Schwule mehr als andere gefährdet seien, daß Aids bald und immer zum Tode führe … Und ich hatte, bis ich dir begegnete, nicht einmal gewußt, was ein Junkie ist.
    Nachdem Clara wieder ein bißchen geweint hatte, der Schnaps alle, Juli blau, Marlene übel und Marc am Ende seiner Bemühungen war, zahlte ich die Rechnung und hielt, auch weil dein Schweigen mich zwang die Initiative zu ergreifen, mit gesenktem Kopf eine kleine, wie sich bald zeigte, nicht allzu überzeugende Rede. Außer Sex sei nichts wirklich schlimm, und am schlimmsten sei es doch für dich, und wenn wir dich jetzt hängenließen, das sei noch schlimmer. Sie sollten mich morgen bitte, bitte anrufen, sollten wenigstens pro forma dabeibleiben. Um den Rest würde ich mich schon kümmern …
    »Du bist eine selten blöde Kuh«, unterbrach mich Marlene – von ihrem Stuhl hochfahrend und mit den Armen fuchtelnd; ihre Augen glänzten, ihre Nasenflügel bebten, ihre kalten Finger streiften meine Hand. Dann ging sie ohne ein weiteres Wort, ohne ein Lächeln oder Winken, aufrecht wie eine Schlafwandlerin zur Tür und hinaus.
    Wir anderen gingen auch, jeder für sich, nur ich mit dir. Denn daß du den Rest jenes Abends, die Nacht und die Hälfte des folgenden Tages in meiner Obhut zu verbringen hattest, war harryplanmäßig, gehörte nicht zum stillschweigend Beschlossenen, von dem ich noch nicht wußte, was genau es war. Würden einige durchhalten oder alle auf einmal abspringen? Wer würde sich eventuell erweichen lassen und zumindest zur letzten Gruppensitzung kommen? Oder müßtest du demnächst zurück in den Knast, weil die meisten deiner Groupies dir und mir morgen nicht mal mehr adieu, Joe aber telefonisch Bescheid sagen würden, und schon wär’s aus und vorbei? Mit derlei absurd-praktischen Fragen versuchte ich, das Grauen abzuwehren, das in mich einsickerte, sobald ich mir die kleinste Denkpause erlaubte. Doch ich war erschöpft, und irgendwann würde ich meinen Widerstand aufgeben, mich hinlegen müssen, und dann würde es mit aller Macht kommen, das Grauen, mich fluten, mich ersäufen und wegspülen, weit weg von dir.
    Bis zur

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