Böse Schafe: Roman (German Edition)
nichtssagenden Wort kein auch nur annähernd adäquates; keine Bilder, keine Zeichen, keine Laute können es ersetzen oder ergänzen oder gar dir so darstellen, daß du dem damit Gemeintenausgeliefert wärst, wie ich es war und bin. Könnte ich dieses Grauen (das Wort klingt harmlos, langweilig wie der Farbton, an den es unsinnigerweise erinnert) besser beschreiben, wenn ich es nicht mehr verspürte? Ist das ein Distanzproblem? Obwohl meine Bemühungen nur darauf hinauslaufen, dir nahezubringen, was ich empfand und empfinde, fehlt mir die nötige Souveränität. Das unbesiegliche Grauen selbst macht mich sprachlos, immer wieder, immer noch; zumal ich an dir nichts dergleichen bemerkt habe, nicht im mindesten. Und wenn es dir doch nicht gänzlich fremd war, das Grauen, dann hast du dich bis zum Schluß nicht verraten.
Und manchmal denke ich, daß du mit dem, was du auf einer Seite deines Schulheftes witzelnd Hobby nennst, nur aus einem Grunde wieder anfingst; du wolltest, daß ich endlich auch einen – aus deiner Sicht – realeren, greifbareren Grund zum Weinen hätte, daß es einen Schmerz gäbe, der mich weglockt vom Grauen. Ich sollte wegen deines Rückfalls in die Sucht mehr Angst haben als vor der Krankheit, von der die Welt erst einmal nur wußte, daß sie tückisch war, schleichend verlief und den von ihr Befallenen schon stigmatisierte, wenn sein Siechtum noch gar nicht begonnen hatte; und sowieso sollte ich mehr Angst um dich haben als um mich. Die Probleme mit der Stoffbeschafferei kanntest du ja, die gaben dir, bevor du dich auf das Experiment mit uns einließest, einlassen mußtest, eine Art Halt, waren vielleicht dein einziger Lebenszweck; zumindest aber unterdrückten sie die Todespanik, die dich, falls du sauber geblieben wärst, wahrscheinlich doch irgendwann gepackt hätte. Der – für dich alte, für mich aber völlig neue – Streß mit Geldauftreiben,Turkey vermeiden, Bunker bauen, Bewährungshelfer täuschen, Bullen ausweichen brachte dich ganz einfach auf andere Gedanken. Warum dann nicht auch mich?!
»Weiß nicht, woher Joe es hat. Vom Knastarzt? Oder kann man das auch schon aus der Pisse lesen? Mir gegen über schön die Schnauze halten und dann mich voll ins Messer rennen lassen, das sieht dem Arschloch ähnlich. Doch einmal bin ich ja fertig mit seinem Affentheater oder raus aus dem Knast, in den die Kanaille mich par tout zurückbringen will. Noch ist Polen nicht verloren, obwohl es nicht gerade gut um mich steht. Notfalls muß ich meine sieben Lumpen packen und die Fliege machen. Paar Strolche gibt es noch, die bloß drauf warten, daß ich ihnen die Sparstrümpfe ausziehe. Und sollte von de nen keiner greifbar sein, passiert eben was anderes. Aber einfach so wieder einbuchten wird mich niemand, das schwöre ich bei Mama.«
Ich wandelte wie ein Gespenst durch Moabit und sah nicht, was ich sah – oder doch: An einer Bushaltestelle warteten unter ihren Regenschirmen Menschen; sie kamen mir vor wie ahnungslose Glückspilze. Ansonsten fand ich gerade mal den Weg, aber keinen Ausweg – und traf auch niemanden – und nichts, das mir geholfen hätte, mich zu entscheiden. Und wofür oder wogegen eigentlich?
In einer Kneipe, die ich nur betrat, weil ich völlig durchnäßt war, ließ ich mich neben einem Fenster nieder, bestellte ein großes Bier, trank mechanisch, starrte auf die Glasscheibe, als wollte ich die von außen daran herunterrinnenden Wassertropfen hypnotisieren. Ich stellte fest, daß ich kein Verlangen nach einem zweiten Bier und mein Geld vergessen hatte, wartete, bis der Zapfer durch den albernen Vorhang aus bunten Plastikstreifen in die dahinter gelegene Küche gegangen war, und prellte die Zeche.
Erst etliche Seitenstraßen weiter, vor einer Zoohandlung, blieb ich stehen, betrachtete einen Käfig voller kugeliger, rot geschnäbelter Zebrafinken, die dicht aneinandergeschmiegt auf den Querstangen hockten. Einen Moment lang wußte ich nicht, ob das leise Fiepen, das ich eher spürte als hörte, von ihnen herrührte oder von meinen tiefes Aus- und Einatmen nicht gewohnten Bronchien.
Ich lief noch ein Stück, setzte mich vor dem struppigen Blumenbeet zwischen Turm- und Stromstraße auf eine Bank und überließ mich dem Ansturm der miteinander im Widerstreit liegenden, pausenlos mutierenden, mal verlöschenden, mal neu aufflammenden, doch immer unvollständigen Gedanken:
Mein Geld war mit dir in meiner Wohnung oder schon sonstwo, du mußtest zur Triade … Danach sollte dich
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