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Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
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setzte ich an, sagtest du nicht, du seiest ein Linker? Nun sei mal froh …
    »Halt die Klappe, jetzt reden wir«, unterbrachst du mich – in einem schneidend autoritären Ton, der so fremd klang, daß ich vor Staunen verstummte – und für den Rest der Feier, den ich damit verbrachte, über einen Zeitungsartikel nachzudenken, in dem ein berühmter Psychoanalytiker das Phänomen der multiplen Persönlichkeit beschrieben hatte.
    In dem Stil ging es noch eine Weile weiter. Ihr erzähltet einander Alte-Kameraden-Storys, wie ihr den »fetten Schließer« X »reingelegt« und fünf Liter Spritessig aus der Anstaltsküche entwendet und dem Y eine »Abreibung verpaßt« hättet … Doch ich verlor den Faden; der Rotwein wirkte. Außerdem war mir, als lernte ich gerade einen Harry kennen, der mit dem, an dem mein Herz hing, nicht viel gemeinsam hatte. Und zu meinem Erstaunen, das im Laufe des Abends Ausmaße annahm, die ich auch nur erstaunlich nennen kann, machte dieser Harry oder Haary kaum weniger Eindruck auf mich als der sanfte, der du die letzten Wochen gewesen warst und der sich wiederum von jenem unterschieden hatte, dem ich am Winterfeldplatz in die Arme gelaufen war.
    Und ich weiß auch noch, daß Lila irgendwann aus der Küche ging und etwa eine viertel Stunde wegblieb und dann mit käsigem Gesicht im Türrahmen lehnte und sich auf dem Rückweg zum Sofa seltsam bewegte, leicht und schwer zugleich; wie ein schwebender Sack, dachte ich. Sie landete wieder neben dir, verdrehte noch zwei-, dreimal die Augen und sank, fest eingeschlafen, vornüber, bis die Klingsbrüder ihre Schuhe suchten und fanden und dir die Schultern klopften und erklärten, nun aber wirklich gehen zu müssen, und der eine, es wird wohl Eggi gewesen sein, sich Lila, die weit davon entfernt war, wach zu werden, mit seines Bruders Hilfe aufs Kreuz lud.
    Du hattest gemeint, noch etwas frische Luft zu brauchen, und deine komischen Kumpels samt Lila Schlafsack hinausbegleitet. Als du zurückkehrtest, was, wenn ich mich richtig erinnere, nicht so bald gewesen war, lümmeltest du dich wieder in deine Sofaecke, gähntest hemmungslos, legtest keine Musik nach, brabbeltest nur mit schwerer Zunge vor dich hin: »An einem schönen Sonntag, es hatte grad getaut, da hamse Lorentz, Peter in Zehlendorf geklaut.«
    Obwohl mein Zustand auch nicht der beste war, begriff ich in diesem Moment, daß an solchen wirrköpfigen Alibi-Proleten wie dir von dem ganzen »68er-Gedöns« (dein Ausdruck) nichts hängengeblieben war als ein paar Sprüche – und die Kanüle, durch die seither alle möglichen Substanzen in dich hineingeflossen waren und ihr bewußtseinserweiterndes Zerstörungswerk gründlich genug verrichtet hatten. Ich konnte mir vorstellen, daß du mich mit deinem wiederholten Lorentz-Peter-Singsang ärgern wolltest, aber nicht, daß Baileys , und seien es zwei Liter von dem Zeug, die du bei weitem nicht getrunken hattest, tatsächlich wie Alkohol wirkt, doch vielleicht warst du dieses eine und einzige Mal ja wirklich blau. Ich jedenfalls war ziemlich hinüber, versuchte trotzdem, das tapfere kleine Frauchen zu spielen, und machte mich, Gläser, Teller, Aschenbecher ins Spülbecken werfend, daß es nur so schepperte, mehr wichtig als nützlich. Wollte ich dir noch eine Diskussion aufdrängen? Hätte ich überhaupt noch ein verständliches Wort sprechen können? Habe ich versucht, dich von der Couch und ins Bett zu hieven?
    Sicher ist, daß ich am Morgen spät erwachte, zu spät für den Lichtsatzkurs, der um neun Uhr begonnen hatte, und daß ich allein auf deiner Matratze lag. Schlaf- und womöglich auch noch rotweintrunken torkelte ich zu Julis Sofa, aber dort warst du nicht und nicht auf dem Klo. Ich stand ein paar Minuten barfuß in deiner dunklen,dreckigen, nach Schimmelpilz und Kippen riechenden Küche; mich würgten die in mir aufsteigenden Tränen und der Brechreiz, der ihnen folgte und drohte, sie einzuholen. Und obwohl mir Übles schwante, beschwichtigte ich mich mit dem Gedanken, daß es für deine Abwesenheit auch ganz harmlose Gründe geben könnte, daß du nur Schrippen oder Zigaretten kaufen wärst, oder zur Triade gefahren. Und außerdem half das alles nichts; ich mußte eine gute Ausrede finden und zu dem Kurs gehen, weil sie mir sonst die Stütze gestrichen hätten. Also beugte ich mich über den Geschirrhaufen, den ich in der Spüle errichtet hatte, wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser, zog mich schnell an und schloß deine Wohnungstür

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