Böse Schafe: Roman (German Edition)
hinter mir.
Während ich unter einem heftigen Sommerregen, der immerhin als Argument für meine Verspätung taugte, dem U-Bahnhof Leinestraße entgegenstrebte, schwor ich mir, keine Mark zu scheuen und Himmel und Hölle in Bewegung zu versetzen, damit du bald ein Telefon bekämst und ich jederzeit die Möglichkeit hätte, zu kontrollieren, ob du zu Hause wärst oder nicht.
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XIV
Wahrscheinlich gab es genug Zeichen für die Veränderungen, die sich in und dann auch an dir vollzogen; ab wann sie unübersehbar gewesen wären, weiß ich nicht zu sagen, bis heute nicht, denn ich schaffte es ja, sie zu ignorieren, gegen jede Vernunft und so lange wie irgend möglich. Vielleicht war ich zu sehr mit mir beschäftigt, damit, ob ich mich testen lassen sollte oder nicht, ob ich den Lehrgang wirklich zu Ende bringen und danach als Lichtsetzer bei Springer versauern oder doch noch irgendein Studium anfangen wollte, ob Friede eine Rattenfreundin brauchte oder ich ihr genügte, ob du mich liebtest oder mir nur etwas vormachtest … Es war wohl eher ein Prozeß, einer, der nicht gerade schleichend verlief und zum Finale hin sogar eskalierte, aber keinesfalls erst mit dem Richterspruch entschieden war. Es war wie mit dem Tod, den auch niemand und nichts, nicht einmal eine Maschine, haarscharf vom Sterben abgrenzen kann, weil er nicht urplötzlich eintritt, nicht auf die Sekunde genau zu bestimmen ist; egal, was der Arzt, der eh meist zu spät kommt, ins Protokoll schreibt – und sowieso egal, denn tot bleibt tot, selbst wenn der Tod und der Tote nach einer Stunde anders ausschauen als nach zehn Stunden.
Und natürlich hast du versucht, mir zu verheimlichen, was mit dir war. Und sicher habe ich mit deinen Ausreden vorliebgenommen. Ich wollte nicht sehen, was ich, wie sich bald zeigte, nicht sehen konnte, im Sinne von: nicht mit ansehen; und das hast du mir auch nur einmal und eher versehentlich zugemutet.
Ja, Harry, nachdem ich hinter deinem Rücken einen Dringlichkeitsantrag gestellt und extra dafür noch mal richtig viel bezahlt hatte, bekamst du endlich Telefon, aber ich noch immer keinen Schlüssel zu deiner Bude, und besser erreichbar warst du auch nicht, wenigstens nicht für mich; mit deinen Kumpanen hattest du ja, wie ich schließlich herausfand, einen Code besprochen: einmal klingeln lassen, auflegen, wieder wählen, fünfmal klingeln lassen, dann abheben. Und als ich Bescheid wußte und dir dies verschwieg und es bei der nächsten Gelegenheit ebenso machte und dich an die Strippe bekam und hören konnte, wie verblüfft du warst, weil du mit jemand anderem gerechnet hattest, vereinbartet ihr einen neuen Code.
Wann und als was du wieder eingestiegen bist und ob gleich mit Heroin, habe ich nie erfahren; deine Aufzeichnungen enthalten dazu keinerlei Spekulationsmaterial, ohnehin hast du, wenn ich richtig vermute, von August 1987 bis März 1989 gar nichts in dein Heft geschrieben. Und als ich dich, viel später, einmal fragte, an welchem Tag es zum Rückfall gekommen sei, meintest du: »Das ist doch unwichtig. Davon kannst du dir nichts kaufen. – Und ich auch nicht«, fügtest du kichernd hinzu. Apropos kaufen, du hast mich wochenlang nicht angepumpt, nicht mal, als du, noch in der Probezeit, also etwa anderthalb Monate nachdem du dort angefangen hattest, den Job bei der Schöneberger Reklameschilderklitsche verlorst, weil dein Chef, wie du sagtest, von deiner Infektion erfahren hätte.
Obwohl sie zu meiner fatalistischen Grundstimmung paßte, bezweifelte ich im stillen, daß deine Auskunft der Wahrheit entsprach. Du hast schon vorher gern geschlafen, doch zu jener Zeit schliefst du noch mehr und meist mit diesen halbgeschlossenen Augen, aus denen nur das Weiße mich anstarrte. Du warst, sofern ich dich in deiner Höhle überhaupt mal antraf, permanent müde, döstest vor dich hin, lasest keine Fantasyromane, hörtest nicht The Doors, sprachst kaum, spieltest nicht einmal mit Friede. Und ich Idiotin deutete all dies ausschließlich als erste Symptome der Krankheit, verabreichte dir teelöffelweise Brühnudeln, wollte, daß du zum Arzt gingst, wieder bei mir wohntest oder wenigstens aus dieser faulig-feuchten Bude in eine bessere umzogst. Aber du meintest, alles sei okay, du würdest nur zuviel »rumtoben«. Und als ich, wie so oft in jener Phase, zeterte und weinte und dir nicht abnahm, daß du, wenn du mir weder die Tür aufmachtest noch ans Telefon gingst, beim Karatetraining warst, gabst du dich, wie du es
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