Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Carter
Vom Netzwerk:
haben.«
    »Vielen Dank auch«, antwortete ich.
    »Ich will damit nur sagen, dass man doch ständig Geschichten über Schwule hört, denen etwas Schlimmes zustößt.«
    Das stimmte natürlich. Umso erstaunlicher war es, dass Ice Lake eine Ausnahme bildete. Statt mich nach meinem Coming-out zu lynchen, hatten die meisten der frommen Kleinstadtbewohner ziemlich cool auf die Neuigkeit reagiert.
    »Du hast halt Glück gehabt«, meinte Chester. »Ich für meinen Teil bin immer ein guter Christ gewesen. Und plötzlich stellen mich alle als Antichrist hin. Nur wegen ein paar Pornoheften. Das ist so was von unfair.«
    »Ja, ist es«, erwiderte ich. »Deshalb gehen wir ja auch zu Father Reedy. Um Antworten zu bekommen.«
    Father Reedy bat uns herein, machte Tee und hörte sich unsere herzzerreißenden Geschichten an. Er ließ uns ausreden und fällte auch im Nachhinein kein Urteil über uns. Eben typisch Father Reedy.
    Im Grunde hatte Ice Lake ihn nicht verdient.
    »Ich habe befürchtet, dass sich alles zum Schlimmen wenden würde«, sagte er nachdenklich, nachdem wir zu Ende erzählt hatten. »Dass es so knüppeldick kommt, hätte ich allerdings nicht gedacht. Man lässt euch wirklich nur in Begleitung zur Toilette gehen?«
    »Ja«, antwortete ich. »Habe ich schon die unangemeldeten Spindkontrollen erwähnt? Um zu sehen, ob wir Pornohefte oder Taschentücher horten?«
    »Unglaublich«, meinte Father Reedy. »Chester, ich werde mal mit deinen Eltern sprechen. Immerhin kenne ich sie schon eine Weile. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie nicht mit sich reden lassen.«
    »Vielen Dank«, gab Chester zurück.
    »Fürs Erste kannst du bei mir wohnen, wenn du möchtest«, fügte Father Reedy hinzu. »Das gilt natürlich auch für dich, Stuart.«
    »Vielleicht nehme ich das Angebot sogar an«, erwiderte ich. »Meine Familie hasst mich. Ich habe Ihnen doch erzählt, was sie meinetwegen erlebt haben, oder?«
    »Ja, hast du«, sagte Father Reedy. »Hört mir mal zu, Jungs. Ich weiß, dass ihr zu mir gekommen seid, weil ihr Hilfe braucht, aber ich fürchte, mehr als euch aufzunehmen kann ich nicht tun. Diese plötzliche Feindseligkeit, die euch entgegenschlägt, will nicht so recht in das Bild passen, das ich von der Gemeinde habe. Auf der anderen Seite ähnelt die ganze Sache den Geschichten, die ich aus anderen Städten höre.«
    »Was meinen Sie damit?«, fragte Chester.
    »Soll das heißen, es gibt noch andere Städte, in denen die Leute wegen ein bisschen Taschenbillard komplett durchdrehen?«, wollte ich wissen.
    »Nicht deshalb«, erklärte Father Reedy. »Wegen anderer Tabuthemen. Einer meiner Kollegen in Tawpuck, New Jersey, hat mir von einem Vorfall erzählt, in dem es um eine Abtreibungsklinik ging. Jahrelang hatten die Gemeindemitglieder kein Problem damit, doch eines Tages begannen sie wie aus heiterem Himmel dagegen Sturm zu laufen. Patientinnen der Klinik wurden schikaniert, Ärzte bedroht und die Klinik mutwillig verwüstet. Irgendwann wurde sie dann geschlossen, und die Ärzte sowie ehemalige Patientinnen zogen weg aus der Stadt. Seither sprechen die Stadtbewohner von einem Sieg für Christus.«
    »Das ist ja widerlich«, sagte ich.
    »Ja«, stimmte Chester mir zu, »aber was hat das alles mit uns zu tun?«
    Mir war sofort klar, dass es eine Menge mit uns zu tun hatte. Eine leise Stimme in meinem Inneren sagte mir, dass es eine Verbindung zu uns gab.
    »Bevor ich darauf antworte«, entgegnete Father Reedy, »möchte ich euch eine weitere Geschichte erzählen. Eine, mit der ihr mehr anfangen könnt. Ein anderer Kollege berichtete mir von einem jungen Mann in eurem Alter, der sich dazu bekannt hat, schwul zu sein.«
    »Warum sollte ich damit was anfangen können?«, fuhr Chester ihm ins Wort.
    Ich kicherte.
    »Bist du denn nicht schwul?«, erkundigte sich Father Reedy. »Stuarts Mutter hat mich heute Morgen angerufen und mir gesagt, ihr beide hättet euch geküsst.«
    »Das hat Stu sich nur ausgedacht«, erwiderte Chester schnell.
    »Oh«, entfuhr es dem Geistlichen. »Tut mir leid, Chester, ich dachte nur … Ist ja auch egal. Wie dem auch sei, der junge Mann hatte sein Coming-out, wie ihr es nennen würdet, und …«
    »Ich nicht!«
    »Wie Stuart es nennen würde«, verbesserte Father Reedy sich. »Mein Kollege erklärte ihm, dass er damit kein Problem hätte, aber dass einige andere vielleicht nicht so gut damit umgehen könnten. Trotzdem hat er den Jungen ermuntert, sich nicht selbst zu verleugnen und seine

Weitere Kostenlose Bücher