Böser Engel
sagte zu ihm, es gebe keinen Platz, an dem er sich verstecken könne, er sei bereits tot. Innerhalb einer oder zweier Wochen nach der Urteilsverkündung verfasste Marvin Gilbert vermutlich unter dem Eindruck dieser Drohungen eine Erklärung, in der er versuchte, Beyea zu entlasten und Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu liefern. Diese wurde jedoch abgelehnt. ...
Am Tag der Urteilsverkündung wurde Tiny extrem paranoid. Da er das hochrangigste Mitglied außerhalb des Gefängnisses war, fürchtete er, als Nächster verhaftet zu werden. Wichtiger noch, er war durch sein Versagen indirekt dafür verantwortlich, dass seine Brüder im Knast saßen. Ihm drohte also Vergeltung. »Wer ist auf mich angesetzt worden?«, fragte er ein anderes Mitglied in der Hoffnung, die Wahrheit zu erfahren. »Bist du’s? Oder ist es ... Wer?«
Aber selben Tag erteilte Tiny seiner Frau eine Vollmacht und verschwand. Er ließ seinen gesamten Besitz zurück, darunter sein Motorrad und seine Corvette, eine Sonderanfertigung mit dem Nummernschild HAMCO-1, das für »Hells Angels Motorcycle Club Oakland« stand. Während mehrere Mitglieder Anspruch auf sein Haus erhoben, meldete seine Frau Benita ihn am 22. September bei der Polizei als vermisst. Sie sagte, dass sie fürchte, jemand habe »ein schmutziges Spiel« mit ihm getrieben, denn er habe sich seltsam verhalten und sei »unter mysteriösen Umständen« verschwunden.
In den folgenden Monaten berichteten Informanten der Polizei, Tiny habe ein nasses Grab gefunden. Angeblich hatte jemand Sonny und einige andere Angels im Gefängnis belauscht, und diese hätten gesagt, Tiny sei an Bord eines Kajütbootes gebracht und mit mehreren Schüssen aus einer 9-mm-Pistole getötet worden. Ein anderer Informant behauptete, Tiny ruhe auf dem Grund eines Sees in der High Sierra. Allerdings soll Tiny später in Mexiko sowie in Südkalifornien und anderen südlichen Bundesstaaten gesehen worden sein.
Meiner Ansicht nach floh Tiny, bevor er zwischen dem Club und den Cops aufgerieben wurde. Es sah ihm durchaus ähnlich, mit nichts außer dem Hemd, das er trug, zu verschwinden, denn so war er schon aus dem Osten gekommen. Er machte sich nicht viel aus Autos und Motorrädern und Häusern. Wenn nur seine Taschen mit Drogen und Geld gefüllt waren, war er glücklich.
Tiny war der perfekte Hells Angel: Gangster, Dealer, Glücksspieler und Anführer. Er arbeitete für Sonny und für sich selbst. Als ich den Club zum ersten Mal verließ, kam er an die Macht. Er war massig – 120 bis 130 Kilo – und konnte sadistisch sein wie kaum ein anderer. Aber er war auch schlau. Er dröhnte sich gern zu und war beliebt. Was braucht man mehr?
Kapitel 29
Der Winter kommt
I m Herbst 1972, als der Club eine Menge Ärger mit der Justiz hatte, beschloss meine Familie, im Januar 1973 auf die Ranch umzuziehen. Ich beabsichtigte, im nahe gelegenen Santa Rosa auf dem Bau zu arbeiten. Helen wollte einen Gemüsegarten anlegen, ein paar Hühner halten und eine Milchkuh kaufen. Bobby freute sich darauf, mit seinem Geländemotorrad über die Hügel zu sausen, und Donna ritt in ihrer Fantasie bereits auf einem Pferd durch grüne Felder. Das war unser Traum.
Aber der Sturm braute sich bereits über unserem neuen Leben zusammen. Im Juni 1971 hörte »Whispering Bill« Pifer aus Richmond von Freunden, das Charter Oakland wolle ihn als Mord- und Begräbniszeugen beseitigen. Um die Lage zu sondieren, rief er Angelo Barberi an und sagte, er plane, nach Oakland zu wechseln. 56
»Tu das nicht«, warnte ihn der Veteran. »Du bist verrückt, wenn du das tust.«
»Was soll das heißen?«
»Glaub mir. Das solltest du nicht tun.«
Kurze Zeit später wechselte Pifer trotzdem nach Oakland, hauptsächlich um diejenigen im Auge zu behalten, die ihn umbringen wollten. Das Charter nahm ihn auf, vermutlich weil man ihn auf diese Weise genau beobachten und den richtigen Zeitpunkt abpassen konnte. Oftmals wenn Pifer sich mit Sonny und Sir Gay volllaufen ließ, wurde er gefragt, ob er mit jemandem über die Leichen auf der Ranch gesprochen habe. Und Sonny ließ durchblicken, Pifer habe ein loses Mundwerk.
Am Labor-Day-Wochenende 1971 fuhren Pifer, sein Sohn und 15 Mitglieder durch die Wüste nach Südkalifornien. Während eines Halts bei Banning in Riverside County bemerkte Pifer, dass einige Mitglieder ihn unauffällig einzukreisen schienen.
Sonny spannte und entspannte mehrere Male seine Pistole und redete vage über Angels und den
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