Böser Engel
konnte Rechnungen vorlegen, aus denen hervorging, dass man die Einzelteile von einem Motorradhändler erworben hatte. Aber wir umgingen auch diese Vorschriften. Wer ein heißes Motorrad hatte, zerlegte es, brachte beispielsweise ein beschädigtes Motorgehäuse in die Werkstatt und kaufte ein neues. Die Meldebehörde akzeptierte die Rechnung des Händlers. Wir waren eben immer einen Schritt voraus.
Es kam selten vor, dass eine unserer Maschinen verschwand. In diesem Fall startete der Club eine Such- und Vernichtungsaktion. Dieses Verbrechen war vergleichbar mit Pferdediebstahl im Wilden Westen. Einmal suchten wir eine Woche lang jedes bekannte Motorradgeschäft in Oakland heim und forschten nach den Maschinen, die Gypsy und Elvis geklaut worden waren. Als wir die Ersatzteilhaufen in Willard G.s Werkstatt durchstöberten, entdeckte Gypsy einen Auspufftopf mit einem vielsagenden Kratzer. Ein Angel kennt jeden Quadratzentimeter seines Motorrads; darum gab es keinen Zweifel daran, dass der Auspufftopf von seiner Maschine stammte. Als wir Willard zur Rede stellten, leugnete er den Diebstahl, bot aber sofort Schadenersatz an. Wir legten sein Geschäft lahm, bis er dem Club zwei neue Motorräder lieferte.
Schlimmer als ein Diebstahl waren Fahrfehler und Stürze bei hoher Geschwindigkeit. Wer Glück hatte, erlitt nur Schürfwunden, wer Pech hatte, landete im Krankenhaus oder auf dem Friedhof.
Wer die Zerstörung seines Motorrads überlebt hatte, gehörte einer Bruderschaft innerhalb des Clubs an. Einerlei, wie viele schweißtreibende Albträume man dadurch erleiden musste, die Narben waren Insignien des Ruhmes, und der Betroffene schmückte das Ereignis beim Biertrinken mit den Brüdern weidlich aus. Doch ein anständiger Angel wollte seine Maschine unbedingt reparieren, damit er wieder Gas geben und die Geschwindigkeit dafür strafen konnte, dass sie ihn hatte vernichten wollen.
Das Verhalten nach einem Unfall war ziemlich aufschlussreich, egal wie viel Show damit verbunden war. Manche Jungs fuhren wieder los, ehe man ihnen die Bandagen und Gipsverbände abgenommen hatte. Sonny kurvte mit verbundenem Kopf und Drähten im gebrochenen Kiefer durch die Straßen, und Skip flitzte nach einer Bruchlandung in Portuguese Flats am Ufer der Bucht entlang – was für ein Anblick!
Das Motorrad hatte Skip etwa anderthalb Straßenblocks mitgeschleift. Dabei war sein Gesicht über den Asphalt geschlittert, und er hatte seltsam gezuckt. Das Blut war nicht so schlimm, aber das Zucken war zu viel für mich. Wir sahen, dass er zu atmen versuchte, also hob Jerry ihn hoch und entfernte den Schmutz aus seinem Mund und seinen Augen. Einige von uns rissen mit bloßen Händen einen Zaun nieder, damit der Krankenwagen ihn erreichen konnte. Fünf Stunden später lag Skip im Krankenhaus und schrie nach seinen alten Levi’s, die er von der Heilsarmee gekauft hatte, nach seinen Stiefeln und nach seinem Motorrad. Er war so unruhig, dass man ihn ins Oak Knoll Naval Hospital verlegte.
Selbst dort, hörte ich, spielte er wieder Krieg. Als ich ihn besuchte, war er eben unters Bett gekrochen und glaubte, er kämpfe gegen die Japaner. Das Personal wusste nicht, was es mit einem Kerl anfangen sollte, der im Krankenhaushemd und mit Stiefeln Soldat spielte. Damals hielt ich mich zurück, denn ich fürchtete, er würde mich für Kaiser Hirohito oder jemand anders halten.
Mein schwerster Unfall war ein Zusammenstoß mit einem Lkw auf dem Foothill Boulevard mit achtzig Stundenkilometern. Als ich einen halben Block später wieder zu mir kam, fluchte ich, weil mein Motorrad kaputt war. »Das verdammte Vorderrad«, schrie ich immer wieder, während sich Gaffer versammelten und Polizisten mich in einen Krankenwagen hievten.
Einige Stunden später stellten die Ärzte fest, dass meine rechte Seite gefühllos war. Das hätte ich ihnen auch sagen können. »Blödsinn«, polterte ich. »Mir geht es gut, und ich gehe nach Hause.« Ich griff nach meinen Kleidern, zog mich an und stürmte hinaus. Vor Einbruch der Morgendämmerung frühstückte ich mit zwei Mädchen und Tommy, der mir das Motorrad abkaufte, das ich zu Schrott gefahren hatte. Nach dem Essen fuhr mich eine der Frauen in die Berge, half mir aus der Hose und tat dann ihr Bestes, damit ich meine taube Seite vergaß.
Kapitel 5
Engelsflügel oder Babysachen?
D ie Aussicht, Vater zu werden, konfrontierte mich mit der Unvereinbarkeit von Club und Familie. Ich verschob die Entscheidung, obwohl es meiner Frau
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