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Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Wethern
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wehtat, dass die Vizepräsidentschaft mich so viel Zeit kostete. »Der Club ist meine Sache, nicht deine«, schnauzte ich jedes Mal, wenn sie mich bat, die Angels zu verlassen. Dennoch wiederholte sie ständig die Ermahnungen meiner Mutter, die gesagt hatte: »Die Hells Angels sind kein Ort für einen Familienvater.« Die Frauen kapierten nicht, dass meine Selbstachtung und meine engsten Freundschaften an mein Motorrad gekettet waren. Als Clubleiter brauchte ich nie von James Dean oder Marlon Brando zu träumen. Ich war selbst ein Krach machender, Motorrad fahrender Held.
    Seltsamerweise wollte Helen einen Sohn haben, während ich mir eine Tochter wünschte. Sie fand, unsere Töchter sollten eines Tages einen älteren Bruder als Beschützer haben, so wie sie. »Das Geschlecht bestimme ich«, erklärte ich und rief mir das Chromosomenthema aus dem Biologieunterricht an der Highschool ins Gedächtnis. »Nur ein richtiger Mann kann eine Tochter kriegen. Man braucht dafür mehr Kraft.« Ich wettete sogar mit Clubmitgliedern beim Biertrinken, dass meine ersten neun Kinder amazonenhafte Mädchen sein würden und das zehnte ein kleiner, büchernärrischer Junge.
    Eines frühen Morgens drückte Helen ihren Bauch an mich, sodass ich spürte, wie das Baby gegen ihre Rippen trommelte, und ich ihr Unbehagen mit ihr teilen konnte. Später bekam sie einen Krampf und hielt sich den Magen. Sie rüttelte mich wach und sagte: »Ich habe alle sieben Minuten Schmerzen.«
    Eine halbe Stunde danach wurde ich an ihr Bett im Kreißsaal des winzigen Krankenhauses in East Oakland geführt. Jedes Mal, wenn sie vor Schmerzen wimmerte, sahen die Schwestern mich an, als wollten sie sagen: »Sieh nur, was du angerichtet hast, du Hundesohn!« Schuldgefühle plagten mich. Ich tätschelte ihre zerbrechliche, kindliche Hand. Sie war 16 und hatte große Angst.
    »Sag mir, was du siehst, wenn du aus dem Fenster schaust«, bat sie mich. »Sprich mit mir.« Ich beschrieb den Sonnenuntergang, so gut ich konnte, doch sie schrie immer wieder vor Schmerzen. Sie zerquetschte mir mit übermenschlicher Kraft die Hand und biss mir in den Arm, so wie ein verwundeter Cowboy auf eine Kugel beißt. Das war zu viel für mich, darum schlich ich mich hinaus.
    Im Flur traf ich den Arzt und einige Schwestern. »Gebt ihr etwas gegen diese Schmerzen«, sagte ich. »Geht rein und tut etwas, oder ich schmeiße euch alle aus dem Fenster.«
    Der Arzt gab ihr ein Beruhigungsmittel namens »Dämmerschlaf«, das sie scheintot machte. Jetzt atmete sie ab und zu schwer, wie in einem Albtraum. Dann schlief sie mit Unterbrechungen drei Stunden und erwachte erneut mit quälenden Schmerzen. Wieder nahm ich mir den Arzt zur Brust: »Gehen Sie rein und geben Sie ihr etwas. Ich halte das nicht aus.« Mehr Dämmerschlaf. Mehr Schmerzen. Noch mehr Dämmerschlaf.
    Während sie schlief, wanderte ich rastlos durch das ganze Krankenhaus und wärmte jeden Wartezimmerstuhl mindestens einmal auf. Mit anderen werdenden Vätern herumzuhängen deprimierte mich, erst recht, nachdem einer von ihnen seinen neugeborenen Sohn gezeigt bekam, dann den ganzen Tag arbeiten ging und am Abend wieder zu Besuch kam. Ich fühlte mich erschöpft und einsam, obwohl Freunde aus dem Club – darunter J. B., Junior, Jerry und Betsy – mit mir wachten.
    Dann, als ich knapp davorstand, den Arzt zu verprügeln, kam das Baby – fast 15 Stunden nach unserer Ankunft im Krankenhaus. Es war ein Mädchen.
    Doch bevor ich meine Forderungen aus der Wette eintreiben konnte, nahm mich der Arzt beiseite. »Es gibt da ein kleines Problem«, sagte er. »So viel wir wissen, sind Sie katholisch; darum sollten Sie lieber einen Priester rufen.« Er erklärte mir, Helens Gewichtszunahme – über zwanzig Kilo – während der Schwangerschaft habe ihre Nierenfunktion geschwächt und darum leide das Baby an Blutvergiftung. Meine Tochter lag in einem Beatmungsgerät, das wie ein Aquarium aussah.
    Ich packte den Überbringer der schlechten Botschaft und stieß ihn an die Wand. »Wenn es ihr so schlecht geht, was zum Teufel tun Sie dann hier?«, schrie ich. »Gehen Sie wieder rein. Tun Sie etwas für sie.«
    Ich drückte aufs Gaspedal meines mit Hakenkreuzen verzierten Fords Baujahr 1949 und raste zur nahegelegenen St. Elizabeth ’ s Church, wo ich einen Franziskanermönch aus dem Bett zog. Er kam sich vermutlich wie ein Entführungsopfer vor. Benommen und halb angezogen, hielt er sich am Vordersitz fest, als wir um eine Kurve nach der

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