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Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Wethern
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dem Totenkopf, der Name des Charters bildete einen Halbkreis darunter.
    Lange Städtenamen wurden abgekürzt. So wurde San Francisco zu Frisco, San Bernardino zu Berdoo und San Diego zu Dago (später wollten wir verhindern, dass andere unsere Charter-Zugehörigkeit allzu leicht ermitteln konnten, und gaben nur noch den Bundesstaat an).
    Die kleineren Aufnäher wiesen auf paramilitärische Ränge oder persönliche Neigungen hin. Neben Offiziersabzeichen wurden Hakenkreuze oder nationalsozialistische Kriegsorden getragen, um andere zu schockieren. Aber was konnte noch mehr schockieren als ein faschistisches Symbol? Ein sexuelles Symbol! Die Brüder begannen, »69«-Aufnäher sowie kleine rote und schwarze Flügel zu tragen. Wer eine menstruierende weiße Frau öffentlich oral befriedigte, bekam einen roten Flügel, für Oralsex mit einer schwarzen Frau gab es schwarze Flügel. Einige Mitglieder stellten eine Menge Flügel zur Schau, aber ich hatte nie welche.
    Wie die Spitznamen enthüllten auch unsere Abzeichen Teile der persönlichen Geschichte. Ich trug zum Beispiel auf der linken Brustseite der Kutte den Aufnäher »Vice-Pres.«. Auf einer Seite prangte das Wort »Baby« und auf der anderen »Huey« in roter und blauer Schrift. »Baby Huey« war eine dicke, Windeln tragende Ente aus einem Comic. Dieser Name sollte mein Image als leichtlebiger Bursche mit Nitroglyzerin-Temperament und eindrucksvoller Körpermasse betonen.
    Alle diese Abzeichen spiegelten Bruderschaft und schwer errungenes Ansehen wider; darum duldeten wir keine Beleidigung dieser Insignien, weder ein unangebrachtes Grinsen in einer Kneipe noch eine Imitation. Wir verboten anderen Clubs, rot-weiße Abzeichen und andere Angel-Insignien zu tragen, und einige Charter untersagten anderen Clubs sogar generell das Tragen von Abzeichen, die nicht genehmigt waren.
    Mit unserem Ruf wuchs auch die Zahl der Idioten, die uns nachahmten. Wir legten nie Wert darauf, für unsere Heldentaten gelobt zu werden, aber wir mochten es nicht, wenn man uns fälschlich beschuldigte, Kinder zu verderben. »Die Wahrheit ist schlimm genug«, pflegte Sonny zu sagen.
    Wir schnappten uns einige Burschen, die frech durch die Straßen fuhren und sich als Angels ausgaben. Jerry, Waldo und ich waren eines Abends im Renault unterwegs, als wir ein paar fremden Bikern begegneten, die unsere Abzeichen trugen. Wir fuhren an sie heran und riefen scheinbar freundlich: »He, fahrt doch mal rechts ran.« Als sie anhielten, wurden sie von echten Angels mit einem Gesamtgewicht von knapp 340 Kilo verdroschen, zurechtgewiesen, ihrer Abzeichen beraubt und fortgejagt.
    Solche Vorfälle zeigten, dass wir narrensichere Insignien brauchten, die nicht so leicht gefälscht und nicht in aller Eile abgestreift werden konnten: Abzeichen, die man wegschneiden oder – als Tattoo – mit der Nadel entfernen musste.
    Unsere Tätowierung war anfangs keine Pflicht, aber das änderte sich nach und nach. Zunächst trugen wir die Worte »Hells Angels« auf dem Arm, später den Totenkopf. Dann fügten wir dem Schädel das Logo »Oakland Hells Angels« hinzu, das schließlich zu »Oakland, Calif. Hells Angels« erweitert wurde. Mit der Zeit kamen noch mehr Symbole hinzu.
    Dennoch waren Tattoos und Aufnäher kaum mehr als Verzierungen für unsere Motorräder. Das Motorrad eines Angels war sein Machtsymbol, sein Gleichmacher, sein Sexobjekt, sein Religionsersatz und oft sein einziger Besitz. Das Gefühl, eine gute Chopper-Harley zu besitzen, ließ sich nur schwer beschreiben, aber wenn man eine hatte, kannte man es.
    Im Jahr 1960 gab es ziemlich wenige Werkstätten, in denen man einen schnittigen, verchromten Hengst kaufen konnte. Am besten präparierte man ihn selbst.
    Abgesehen von 3000 Dollar brauchte man dafür technisches Wissen und die Energie, eine Harley-Davidson mit einem Hubraum von über 1200 Kubikzentimetern zu zerlegen und aufzumotzen. Aus der Fabrik kam die Maschine mit großen Ballonreifen, einem zwiebelförmigen Benzintank, schweren Kotflügeln, protzigen Spiegeln und langweiliger Lackierung. Wir nannten diese Motorräder »Müllkutschen«, aber die 315 Kilo schweren Standard-Harleys rollten wie zweirädrige Cadillacs.
    Hinter dem doofen Profil verbarg sich eine erstaunliche Kraft, die nur darauf wartete, mit Schweißbrennern, Schraubenschlüsseln und Schraubenziehern befreit zu werden. Sobald die Maschine wie ein nackter Rahmen aussah, wurde der Motor zerlegt und auf 1300 Kubikzentimeter

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