Böser Engel
der Staatsanwalt des Bezirks, Duncan James, Wethern einen Deal vor. Während der Gerichtsverhandlung waren die Wetherns in ihrer blauen Anstaltskluft aneinander gefesselt. Der juristische Jargon verwirrte das Paar, und die scheinbare Eile der Justiz, das Gedränge auf der Pressetribüne und die Auswechslung des Pflichtverteidigers in letzter Minute verängstigten die beiden zusätzlich. Noch dazu fragte Richter Timothy O’Brian viel zu früh, ob sie bereit seien, über die Hells Angels auszupacken.
»Euer Ehren«, sagte Wethern, »bevor ich verstehe, worum es geht, mache ich keinerlei Aussagen.« Er war mit dem angebotenen Deal nicht zufrieden. Er wollte Straffreiheit vor Bundesgerichten und vor kalifornischen Gerichten sowie Schutz für die ganze Familie. Er wollte alles oder nichts.
Am Ende des Tages waren die Wethern-Kinder bei einer Pflegefamilie untergebracht, die Eltern aber befanden sich wieder in ihrer Zelle – ohne Kinder, ohne Straffreiheit und ohne Geld für die Kaution. Das Gesetz der Angels und das Gesetz des Staates nahmen Wethern schonungslos in die Zange.
Doch am Wochenende zahlten sich Geduld und Courage aus. Er und seine Frau bekannten sich des unerlaubten Drogen- und Waffenbesitzes schuldig. Dafür sicherte ihnen die Justiz Straffreiheit für alle anderen Straftaten zu. Davon ausgenommen waren Kapitalverbrechen, die sie als Haupttäter begangen haben mochten. Allerdings waren der Polizei keine solchen Delikte bekannt.
Die Justizbehörden waren bereit, die Wetherns an einem neuen Wohnort ihrer Wahl innerhalb der USA unterzubringen, ihnen neue Namen und neue Papiere zu geben, wenn nötig ihr Aussehen verändern zu lassen und ihnen eine Wohnung sowie Geld zur Verfügung zu stellen, bis sie wieder auf eigenen Beinen stehen würden.
Dafür sollten sie der Polizei offenbaren, was sie im Laufe ihrer 14-jährigen Zugehörigkeit zu den Hells Angels erfahren und erlebt hatten. Wethern war zweimal aktives Mitglied gewesen.
Nachdem er 1958 dem Club beigetreten war, wurde er um das Jahr 1960 herum Vizepräsident. Genau zu der Zeit begann der Club auch jene Raufbolde anzuwerben, die sich zum elitärsten Zirkel der Outlaw-Biker entwickeln sollten: die Oakland-Hells-Angels. Mitte der 60er-Jahre, als die Angels sich immer mehr in den Handel mit Drogen, Waffen und Sprengstoff verstrickten, verdiente Wethern mit seinen guten Kontakten eine Menge Geld. Er wurde der wichtigste Verteiler von psychedelischen Drogen und beaufsichtigte weitere Dealer, die ebenfalls Mitglieder waren. Als Drogenhändler machte er Geschäfte mit der Elite der Branche, vor allem mit dem berüchtigten Undergroundchemiker und »LSD-König« Augustus Owsley Stanley III. Er war dabei, wenn die Angels mit dem Autor Ken Kesey und seinen » Merry Pranksters « 2 ihr LSD konsumierten. Zusammen mit anderen Angels beutete er die Blumenkinder der zarten Hippie-Revolution in San Franciscos Stadtteil Haight-Ashbury aus und war Zeuge der ersten bekannten Hinrichtung eines Clubmitglieds. Nachdem er im Jahr 1969 seinen Partner im Drogenrausch angeschossen hatte, wandte er sich von Drogen ab und verließ den Club. Doch er blieb mit den Clubführern befreundet und setzte für sie seine Waffen- und Drogengeschäfte bis zu seiner Festnahme fort.
Als die Presse von seinem Handel mit der Justiz Wind bekam, erklärte Bezirksstaatsanwalt Duncan James am 4. November triumphierend: »Das bedeutet vielleicht nicht das sofortige Ende für die Angels, aber die meisten zuständigen Beamten glauben, dass es der Anfang vom Ende ist. Ein Hells Angel verrät keinen Hells Angel. So war es zumindest bisher. Wenn sie verhaftet werden, sitzen sie ihre Strafe ab und schweigen. Nun aber will ein Mann Kronzeuge der Staatsanwaltschaft werden, der mit Sonny Barger, dem obersten Chef der Angels, befreundet war. Nachdem er die Gesetze des Clubs gebrochen hat, werden sich auch andere Mitglieder melden und aussagen, nur um ihre Haut zu retten. Sobald die Ermittlungen beendet und die Festnahmen erfolgt sind, werden die Angels wohl nur noch ein kleiner Haufen von Motorradfahrern sein.«
Daraufhin überfielen Heerscharen von Beamten aus verschiedenen Behörden und aus allen Teilen Kaliforniens den einst hochrangigen Angel und quälten ihn Tag und Nacht mit Fragen zum Club und seinen Mitgliedern. Es waren Hunderte von Fragen. Und selbst wenn ein langes Gespräch zu Ende war, spukten die Fragen noch in Wetherns Kopf herum. Normale Erinnerungslücken ärgerten ihn. Es fiel ihm immer
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