Boeser Traum
Abschiedskuss und sagt leise »Bis morgen«. Emilia guckt ihr nach, bis sie hinter der nächsten Ecke verschwunden ist. Sie guckt auf Charlottas langen Rücken. Ihr ist nicht entgangen, wie Mats ihre Freundin angesehen hat.
Als Charlotta ihr Rad kurz vor der Haustür ausrollen lässt, geht auch Mats in die Bremse. Eigentlich weià Charlotta, dass sie für heute genug Sonne abgekriegt hat, aber sie schafft es nicht, einfach zu gehen. Fast eine Stunde stehen sie da, reden über die Lehrer, die Ferien, über Australien, wohin Mats so gerne mal reisen will, weil man da so gut tauchen kann. Ãber Frankreich, wo Charlotta in den letzten beiden Ferienwochen sein wird. Wenn ich nach meiner Entführung überhaupt noch das Haus verlassen darf, denkt Charlotta dabei kurz. Zwischendurch ist sie versucht, Mats zu erzählen, dass sie nach den Ferien nicht wieder aufs Gymnasium gehen wird. Dass sie in ein Internat nach Frankreich wechselt. Sie würde gerne seine Reaktion in seinem Gesicht lesen, aber sie hält sich zurück. Sie wird ja zurückkehren aufs Gymnasium, wird in die zehnte Klasse gehen und sich überlegen, welchen Leistungskurs sie neben Französisch noch belegen will. Dreimal schon hat sie Luft geholt, um sich zu verabschieden, aber Mats fällt immer noch etwas Lustiges ein.
Claudine Brandt steht schräg hinter der Gardine und beobachtet die Szene. Sie kann die beiden nicht reden hören, aber sie sieht, wie Charlotta immer wieder mit der Hand einzelne Strähnen hinters Ohr schiebt, den Kopf leicht schräg legt beim Zuhören. Sie beobachtet, wie der Junge manchmal ganz kurz seine Hand auf Charlottas Oberarm legt. Ist er der Grund, warum die Tochter auf gar keinen Fall in das Internat möchte? Ist Charlotta zum ersten Mal verliebt? Er sieht nicht übel aus, der Junge. Für ein, zwei Sekunden erwägt sie, ihrer Tochter diese erste Liebe nicht zu nehmen, den Entschluss mit dem Internat rückgängig zu machen. Doch dann schüttelt sie kurz und bestimmt den Kopf. Der ersten Liebe folgen immer noch weitere. Und wenn es die groÃe Liebe ihres Lebens sein sollte, dann wird die auch das eine Jahr überstehen, befindet Claudine, während sie das Fenster öffnet und hinausruft: »Charlotta, willst du nicht mal langsam zum Essen reinkommen oder soll ich dir was vor die Haustür bringen?«
Ihre Stimme klingt zickiger, als sie sich fühlt.
»Würden Sie mir dann was mitbringen?«, fragt Mats lachend.
Claudine Brandt muss auch lächeln und versteht Charlotta noch ein bisschen mehr.
»Wir sehen uns«, sagt Mats schnell, ehe er sich auf sein Rad setzt und winkend hinter der nächsten Ecke verschwindet.
»Danke, Mama, dass du mich erlöst hast. Der Typ hat ja gar nicht mehr aufgehört zu quatschen«, stöhnt Charlotta und schlieÃt ihr Rad ab.
Ihre Mutter stutzt. Sollte sie sich so vertan haben?
Kein Zurück
A uch Emilia wird zu Hause schon erwartet. Kaum hat sie die Wohnungstür geöffnet, steht Sophie vor ihr. In ihren langen Fingern hält sie ein grünes T-Shirt. »Das habe ich in deinem Schrank gefunden. Das gehört mir«, keift sie sofort los.
»Was hast du an meinem Schrank zu suchen?« Emilia fühlt eine Wutwelle in sich hochsteigen. Sie überlegt blitzschnell: Gibt es irgendetwas in ihrem Zimmer, das auf kommenden Samstag schlieÃen lässt?
»Was ich da zu suchen habe? Meine Klamotten, wie du siehst.« Auch Sophie ist stinkewütend.
»Dir steht das Shirt eh nicht. Du siehst in Grün aus, als sei dir übel. Als müsstest du jeden Moment kotzen. AuÃerdem spannt das Teil total«, giftet Emilia zurück.
»Neidisch? Damit bei dir ein Shirt spannt, musst du schon in der Kinderabteilung kaufen«, kontert Sophie.
Emilia rauscht an ihr vorbei, schlieÃt sich in ihrem Zimmer ein. Ganz kurz hat sie die Vorstellung, Sophie in irgendeinem Keller einzusperren und sie nicht wieder raus zulassen. Zumindest nicht im ersten Jahr. Es ist eine ganz kurze Befriedigung. Was steht eigentlich auf Entführung, fragt sie sich plötzlich. Was, wenn der schöne Plan scheitert? Macht sie sich strafbar? Machen sie beide sich strafbar? Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht: Vielleicht lassen die Franzosen Charlotta in ihr schönes Land gar nicht rein, wenn sie vorbestraft ist. Dann würde der Plan so oder so funktionieren. Sie fährt ihren Rechner hoch. Was wäre
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