Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
die Rösners der Polizei zunächst nichts davon gesagt hatten, lag auf der Hand, und Bodenstein hatte sich den Vorwurf gespart. Hier scherte sich niemand um den anderen, denn jeder war viel zu sehr mit seinem eigenen Elend beschäftigt. Die Menschen auf dem Campingplatz waren gescheiterte Existenzen, keiner von ihnen interessierte sich einen Deut für das, was in der Welt oder der direkten Nachbarschaft vor sich ging. Nachdem Bodenstein noch einmal einen Blick in das Innere von Rothemunds Wohnwagen geworfen hatte, bezahlte er vorne in der Gaststätte sein Bier und ging langsam zurück zu seinem Auto. Der bloße Gedanke an das, was Kilian Rothemund in seinem Wohnwagen mit den Mädchen getan haben mochte, war für Bodenstein kaum zu ertragen. Quasi vor den Augen der Öffentlichkeit hatte er dreist seinen widerlichen Gelüsten gefrönt, im Schutze vollkommen gleichgültiger Nachbarn. Mit welchen Versprechungen hatte er die Mädchen angelockt? Unwillkürlich musste Bodenstein an Sophia denken und daran, wie vertrauensselig sie war. Man konnte einem Kind tausend Mal einschärfen, nichts von Fremden zu nehmen – wenn es gar kein Fremder, sondern ein Verwandter oder ein guter Freund der Familie war, der sich mit perversen Absichten näherte, dann gab es keine Möglichkeit, das Kind zu schützen. Es war auch keine Alternative, ein Kind zu sehr vor den Realitäten des Lebens zu behüten, denn der Tag, an dem es alleine zurechtkommen musste, kam unweigerlich. Je länger Bodenstein darüber nachdachte, desto weniger abwegig erschien ihm der Gedanke, dass es sich bei dem blonden Mädchen tatsächlich um die tote Nixe aus dem Main handeln konnte. Auf dem Gelände des Campingplatzes gab es einen Swimmingpool, ein blau gestrichenes Betonloch, das aber eine funktionierende Chlorozon-Anlage besaß.
Das Gewitter war vorüber, der Asphalt dampfte, es duftete nach feuchter Erde. Bodenstein hatte gerade sein Auto erreicht, als sein Handy klingelte. Ihm schwante Übles, als er Pias Namen um diese Uhrzeit auf dem Display las.
»Wir haben eine Leiche in Liederbach«, verkündete sie ihm. »Ich bin schon auf dem Weg dorthin und versuche, Henning zu erreichen.«
Sie nannte ihm die Adresse, und er versprach, auf direktem Weg hinzukommen. Mit einem Seufzer setzte er sich hinters Steuer. Gleich morgen früh würde er Kröger auf den Campingplatz schicken, damit er eine Probe des Wassers aus dem Swimmingpool nahm, um dieses mit der chemischen Analyse der Wasserprobe aus der Nixenlunge zu vergleichen.
Zwanzig Minuten später bog er in die Straße ein und sah schon von weitem zuckendes Blaulicht. Direkt vor ihm fuhr der silberne Mercedes Kombi von Dr. Henning Kirchhoff, der blaue VW -Bus der Spurensicherung stand neben einem Streifenwagen vor einem weit geöffneten Hoftor. Pia hatte bereits das komplette Team mobilisiert, das bei einem Leichenfund gebraucht wurde. Bodenstein stieg aus und duckte sich unter dem Absperrband durch. Auf den Bürgersteigen standen ein paar Neugierige, Pia unterhielt sich mit einem Mann und einer Frau und notierte sich etwas. Als sie ihn erblickte, beendete sie das Gespräch und wandte sich Bodenstein zu.
»Bei der Toten handelt es sich um Leonie Verges, eine Psychotherapeutin«, berichtete sie. »Sie lebte hier schon seit mehr als zehn Jahren, hatte aber nur wenig Kontakt zu den Nachbarn. Das eben war der Inhaber der Bäckerei gegenüber. Er hat in den letzten Tagen ein paar interessante Beobachtungen gemacht.«
Henning Kirchhoff kam mit einem Overall über dem Arm und einem Metallkoffer in der linken Hand quer über die Straße.
»Nanu«, begrüßte Pia ihren Exmann. »Du hast ja schon wieder eine neue Brille.«
Henning Kirchhoff lächelte säuerlich.
»Nana Mouskouri wollte ihre Brille zurückhaben«, entgegnete er spitz. »Wo muss ich hin?«
»Da drüben in den Hof.«
»Ist diese geistige Amöbe von eurer Pfadfinderabteilung auch da?«
»Falls du Christian meinst, ja. Der ist schon im Haus.«
»Wieso macht dieser Mensch eigentlich nie Urlaub«, murmelte Henning im Weggehen. »Mir bleibt heute auch nichts erspart.«
»Der Bäcker hat sich die Kennzeichen von zwei Autos aufgeschrieben, weil die ihm mehrfach aufgefallen sind.« Pia konsultierte ihren Notizblock. Sie sprach noch schneller als sonst, ein Zeichen dafür, dass sie auf etwas gestoßen war. »F-X 562. Ein schwarzer Hummer. Das ist das Auto von – Bernd Prinzler! Das andere Auto war ein dunkler Kombi mit HG -Kennzeichen. Ich werde da gleich
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