Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
sich die Hofreite von Leonie Verges befand. Nachdem sie einem ersten Impuls folgend ins Auto gesprungen und losgefahren war, hatte sie sich erst auf der Fahrt von Frankfurt nach Liederbach überlegt, was sie die Therapeutin überhaupt fragen wollte. Ihr Zorn auf die Frau wuchs mit jeder Minute. Wieso hatte die Verges Wolfgang und sie angelogen und behauptet, sie wisse nichts? Sie steckte doch eindeutig mit diesem Kinderschänder unter einer Decke und hatte Hanna in irgendetwas hineingezogen.
Die Parkplätze vor der Bäckerei waren besetzt. Meike fluchte und bog am Ende der Straße nach links ab, um einmal um den Block zu fahren. Sie hatte keine Lust, durch den Regen zu laufen, um dann wie eine nasse Katze auszusehen! Ihr Blick streifte ein großes schwarzes Auto, das vor der Mauer der Scheune parkte, die noch zu Leonie Verges’ Hof gehörte. Ein Frankfurter Kennzeichen! Das war doch die Monsterkutsche von dem tätowierten Rocker aus Langenselbold! Was tat der denn hier? Ein paar Meter weiter fand Meike eine Parklücke, in die ihr Mini gerade so reinpasste. Der Regen hatte etwas nachgelassen. Sie ging die Straße entlang, blieb zwischen zwei geparkten Autos stehen und sondierte aus sicherer Entfernung die Lage. Das Grundstück von Leonie Verges erstreckte sich von einer Straße zur anderen, und in der Scheunenwand gab es eine Tür, durch die man sicherlich auch in den Hof gelangen konnte. Meike fröstelte und zog die Kapuze ihres Sweaters über den Kopf. Nach der Hitze des Tages fühlte sich der Regen kalt an. Was sollte sie jetzt tun? Nachschauen, ob die Tür offen war? Nein, sie war ja nicht lebensmüde! Vielleicht war es das Beste, wenn sie mit ihrem iPhone ein paar Beweisfotos von dem schwarzen Hummer machte, denn sie war mittlerweile sicher, dass diese Rockerbande etwas mit dem Überfall auf Hanna zu tun hatte. Während sie noch überlegte, wurde die grüne Holztür aufgestoßen, zwei Männer kamen heraus und liefen mit eingezogenen Köpfen zu dem Auto, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre. Meike duckte sich. Ein Motor röhrte, Scheinwerfer flammten auf und das schwarze Riesenauto rollte an ihr vorbei. Sie wartete einen Moment, dann huschte sie zu der Tür, die noch halb offenstand. Es mochte unhöflich sein, so spät abends durch den Hintereingang zu kommen, aber die Verges würde ihr sicherlich nicht die Haustür aufmachen, wenn sie ihren Namen nannte. Meike ging durch die Scheune, die wohl als Lager für Blumenerde und Gefäße aller Art diente. Die Haustür stand sperrangelweit offen, der Strahler an der Hauswand brannte und erhellte den Hof, der mit Pflanzen und Blumen vollgestellt war.
»Hallo?«, rief Meike. Sie blieb an der offenen Tür stehen. »Hallo!«
Vorsichtig machte sie einen Schritt ins Hausinnere. Puh, war das warm hier drin! In einem Raum am Ende des schmalen Flurs brannte Licht, der Lichtschein fiel durch einen schmalen Spalt und zeichnete eine helle Linie auf die rötlichen Fliesen.
»Hallo? Frau Verges?«
Meike brach der Schweiß aus, sie streifte die Kapuze vom Kopf. Wo war die blöde Kuh nur? Vielleicht hockte sie auf dem Klo. Sie ging den Flur entlang, klopfte an die Tür des Raumes, an der ein Schild mit der Aufschrift GESPRÄCHSTHERAPIE hing. Hier war ihre Mutter also gewesen. Natürlich hatte sie ihr nie erzählt, dass sie eine Therapie machte. Typisch! Hanna versuchte immer, mit aller Kraft die schöne Fassade zu wahren, das war schon zwanghaft.
Neugierig drückte Meike die Tür auf. Ein Schwall trockener heißer Luft drang ihr entgegen, es roch scharf nach Urin. Ihr Gehirn brauchte ein paar Sekunden, bis es registrierte, was ihre Augen sahen. Auf dem Boden in der Mitte des Raumes lag Leonie Verges. Jemand hatte sie an einen Stuhl gefesselt, der umgekippt war.
»Oh Scheiße«, murmelte Meike und ging näher. Die Frau war mit Klebeband geknebelt, ihre Augen waren weit aufgerissen, aber sie blinzelte nicht ein einziges Mal. Eine dicke schwarze Schmeißfliege krabbelte über ihr Gesicht und verschwand in einem Nasenloch. Meike kämpfte gegen einen Brechreiz an und schlug die Hand vor den Mund. Erst jetzt begriff sie, dass Leonie Verges nicht mehr lebte.
*
Die Ehefrau von Karl-Heinz Rösner bestätigte, was ihr Mann erzählt hatte. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass Kilian Rothemund Besuch von jungen Mädchen gehabt hatte. Damit hatte er klar gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen, denn ihm war vom Gericht verboten, sich minderjährigen Mädchen zu nähern. Warum
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