Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
kein Holländisch, konnte die Sprache jedoch leidlich lesen. Man suchte den vorbestraften Sexualstraftäter Kilian Rothemund, erwähnte aber aus ermittlungstaktischen Gründen nicht, weshalb. Einer seiner Campingplatz-Mandanten hatte ihm eine SMS geschickt und ihm darin mitgeteilt, dass die Polizei am Sonntag seinen Wohnwagen durchsucht hatte und nach ihm fahndete, von Bernd hatte er erfahren, dass Leonie Verges tot war. Jemand hatte sie in ihrem Haus auf grausame Weise zu Tode gequält. Eigentlich hätte er schockiert sein müssen, aber er war es nicht. Noch am Samstag hatte er Leonie bei Bernd gesehen. Sie hatte behauptet, Hanna habe trotz aller Warnungen den Ernst der Lage nicht begriffen und irgendetwas ausgeplaudert. Kilian hatte Hanna zwar verteidigt, aber insgeheim hatte auch er leise Zweifel an ihrer Loyalität bekommen, denn sie hatte sich seit Donnerstag nicht mehr bei ihm gemeldet, weder per SMS noch per E-Mail oder Telefon. Sie hatten schon über eine Stunde diskutiert, als Leonie mit einem gehässigen Unterton gesagt hatte, es geschähe Hanna nur recht, was ihr passiert sei. Kilian war aus allen Wolken gefallen, als sie berichtet hatte, Hanna sei in der Nacht von Donnerstag auf Freitag überfallen und misshandelt worden und läge seither im Krankenhaus. Die gleichgültige Beiläufigkeit, mit der sie das gesagt hatte, hatte für Kilian das Fass zum Überlaufen gebracht. Es war zu einem heftigen Streit gekommen, er hatte sich auf seinen Motorroller gesetzt und war noch in der Nacht nach Langenhain gefahren, in der Hoffnung, dort vielleicht Hannas Tochter anzutreffen und von ihr mehr zu erfahren, aber das Haus hatte still und dunkel dagelegen.
Kilian wusste nicht mehr, ob das, was er in Holland erfahren hatte, überhaupt noch eine Rolle spielte. Sie hatten in ein Hornissennest gestochen, und die Hornissen hatten brutal angegriffen: Leonie war tot, Hanna lag schwer verletzt im Krankenhaus und er wurde von der Polizei gesucht. Bernd hatte entschieden, Michaela vorerst nichts von alldem zu sagen, denn niemand konnte beurteilen, wie sie auf diese schlimmen Nachrichten reagieren würde.
Seit Stunden dachte Kilian nun darüber nach, wieso ausgerechnet in einer holländischen Zeitung sein Bild mit Fahndungsaufruf abgedruckt war. Wusste jemand, dass er nach Amsterdam gereist war oder war es nach einer Pressemeldung in allen großen europäischen Zeitungen erschienen?
Gegen Mittag hatte er den Entschluss gefasst, das hochbrisante Material aus seinen Gesprächen per Post nach Deutschland vorauszuschicken, für den Fall, dass man ihn auf der Heimfahrt festnahm. Er hatte einen wattierten Umschlag gekauft und lange darüber nachgedacht, an wen er die Sendung schicken sollte, bevor er das Päckchen mit einer Adresse versehen und zur Post gebracht hatte. Danach hatte er in einem Café in der Nähe des Amsterdamer Hauptbahnhofs auf seinen Zug gewartet, der um 19:15 abfahren sollte. Fünf Minuten vorher zahlte er die beiden Kaffee und das Stück Kuchen, das er verzehrt hatte, nahm seine Tasche und ging Richtung Gleis.
Er hatte damit gerechnet, dass man ihn bei seiner Ankunft in Frankfurt erwarten würde, nicht aber in Amsterdam. Wie aus dem Nichts standen plötzlich in schwarze Kampfanzüge gekleidete Männer vor ihm, einer von ihnen hielt ihm einen Ausweis vor die Nase und verkündete ihm in bestem Rudi-Carrell-Deutsch, dass er verhaftet sei. Kilian leistete keinen Widerstand. Früher oder später würde man ihn nach Deutschland ausliefern, und dann hatte er endlich die Beweise in der Hand, die ihm bis dahin immer gefehlt hatten, schlagkräftige, eindeutige Beweise und jede Menge Namen. Die Organisation hatte so viele Köpfe wie eine Hydra, die nachwuchsen, sobald man sie abschlug. Aber mit den Informationen, die er jetzt besaß, würde er diese perversen, gewissenlosen Schweine empfindlich schwächen und gleichzeitig seinen Namen reinwaschen und sich damit rehabilitieren. Ein paar Tage in einer holländischen Arrestzelle konnten ihn nicht mehr erschrecken.
*
Noch während der Sendung waren erste Anrufe mit Hinweisen eingegangen, der wohl wichtigste Anruf landete allerdings nicht im XY -Studio, sondern bei Kai Ostermann und hatte das gesamte Team in helle Aufregung versetzt. Es war zehn nach elf, als Pia Bodensteins Nummer wählte und ihn sofort am Ohr hatte.
Sie setzte sich auf die Treppe vor der Wache, zündete sich eine Zigarette an und berichtete ihm kurz und knapp die Details. Eine Frau hatte sich gemeldet, die
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