Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
ganzen Tag im Haus gesessen, weil Louisa ihr Zimmer nicht verlassen wollte. Jetzt, da das Mädchen tief und fest schlief, würde sie sich einen kurzen Spaziergang an der frischen Luft erlauben können, um sich ein wenig die Füße zu vertreten. Emma steckte das Babyphon ein und ging nach unten. Vor der Haustür atmete sie tief durch. Es war schon fast dunkel. Die milde Luft war erfüllt vom betäubend süßen Duft des Flieders. Sie streifte die Crocs von den Füßen, nahm sie in die Hand und ging barfuß weiter. Der feuchte Rasen fühlte sich wie ein Teppich an. Ihre Nerven beruhigten sich mit jedem Schritt, sie straffte die Schultern, atmete gleichmäßig ein und aus. Weit wollte sie nicht gehen, nur bis zum Springbrunnen, der in der Mitte des Parks stand, auch wenn Louisa sicher nicht vor morgen früh um sieben Uhr aufwachen würde. Emma erreichte den Brunnen, setzte sich auf den Rand und tauchte die Hand in das Wasser, das noch von der Sonne aufgeheizt war. Im Biotop oben am Waldrand quakten Frösche, Grillen zirpten.
Emma kontrollierte aus Gewohnheit das Babyphon, aber sie war natürlich längst außer Reichweite der Funkverbindung. Ihr fiel ein, wie vehement Florian gegen dieses Gerät gewesen war. Die Strahlung, der das Baby ausgesetzt sei, sei schädlich, hatte er behauptet. Genauso, wie er der Meinung war, dass moderne Windeln Hautausschläge und Ekzeme förderten, weil sie keine Luft durchließen.
Komisch. Wieso fielen ihr nur negative Dinge ein, wenn sie an ihren Mann dachte? Plötzlich zerriss ein lautes Scheppern, gefolgt von schrillem Geschrei die idyllische Stille. Emma sprang besorgt auf und beeilte sich, zum Haus zurückzukommen. Aber die ärgerlich klingende Stimme kam aus der Richtung der drei Bungalows, und sie gehörte Corinna! Emma blieb hinter einer Buchsbaumhecke stehen und blickte zu den Häusern hinüber. Der Bungalow der Wiesners war hell erleuchtet, und Emma sah zu ihrem Erstaunen ihre Schwiegereltern im Wohnzimmer auf der Couch sitzen. Außer Josef und Renate waren auch Sarah, Nicky und Ralf da. Nie zuvor hatte Emma ihre Freundin so wütend erlebt. Zwar konnte sie nicht verstehen, was sie sagte, denn die Terrassentür war geschlossen, aber sie sah, dass Corinna Josef anschrie. Ralf legte seine Hand in einer begütigenden Geste auf Corinnas Schulter. Sie schüttelte ihn unwillig ab, senkte aber ihre Stimme. Emma betrachtete die Szenerie, die einem Theaterstück ähnelte und die sie nicht deuten konnte. Corinna, Josef und Renate waren normalerweise ein Herz und eine Seele. Welchen Grund mochte diese heftige Verstimmung haben? War etwas passiert? Renate stand auf und verließ das Wohnzimmer. Plötzlich mischte sich Nicky ein. Er sagte irgendetwas, dann holte er aus und versetzte Corinna eine Ohrfeige, die sie taumeln ließ. Emma schnappte erschrocken nach Luft. In dem Moment tauchte Renate auf der Terrasse auf und marschierte direkt auf sie zu. Gerade noch rechtzeitig duckte Emma sich hinter die Buchsbaumhecke. Als sie wieder zum Haus der Wiesners hinüberblickte, war das Wohnzimmer leer bis auf Josef, der nach vorne gebeugt auf dem Sofa saß, das Gesicht in den Händen vergraben. Genauso hatte er neulich an seinem Schreibtisch gesessen, nachdem Emma ähnlich zufällig wie heute mitbekommen hatte, wie Corinna sich mit ihm gestritten hatte. Wie konnte sie ihrem Vater so etwas antun? Und weshalb sah Ralf tatenlos zu, wie Nicky seine Frau ohrfeigte? Emma konnte sich keinen Reim auf das seltsame Verhalten machen. Vielleicht lagen einfach die Nerven blank vor dem großen Fest übermorgen. Schließlich war auch Corinna nur ein Mensch.
*
Kilian Rothemund hatte während seines Aufenthaltes in Holland sein Handy die meiste Zeit über ausgeschaltet. Obwohl er im Gefängnis den Anschluss an die Fortschritte der modernen Telekommunikation verpasst hatte, so war ihm doch klar, dass man sein internetfähiges Handy orten konnte, selbst wenn die Roamingfunktion ausgeschaltet war. Mit Internetcafés, WiFi in Hotels und ähnlichen Dingen kannte er sich nicht aus, aber er durfte unter gar keinen Umständen eine Spur zu den beiden Männern legen, die sich nur unter hochkomplizierten Sicherheitsvorkehrungen mit ihm getroffen hatten. Die Brisanz dessen, was sie ihm erzählt und ausgehändigt hatten, war enorm. Seitdem Kilian sein Foto in der auflagenstärksten niederländischen Tageszeitung De Telegraaf gesehen hatte, wusste er, dass man ihn mittlerweile mit internationalem Haftbefehl suchte. Er sprach zwar
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