Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
Kriseninterventionsteam ein, das Altunay angefordert hatte. Zwei Psychologen kümmerten sich um Finkbeiners Angehörige, die direkt hinter den beiden Mordopfern gesessen hatten. Christian Kröger und sein Team hatten bereits mit der Spurensicherung begonnen, sie sicherten und fotografierten den Tatort und die beiden Leichen. Ein Stück entfernt behandelte ein Notarzt die bewusstlose Attentäterin, der Schuss hatte sie in den Bauch getroffen. Neben ihrem Kopf kniete ein dunkelhaariger Mann in einem hellen Anzug. Er weinte und streichelte das Gesicht der Frau.
»Bitte«, sagte der Notarzt ungehalten, »lassen Sie uns jetzt unsere Arbeit machen.«
»Ich bin auch Arzt«, beharrte der Mann. »Das ist meine Schwester.«
Bodenstein und Pia wechselten einen überraschten Blick.
»Kommen Sie.« Bodenstein beugte sich über den Mann und legte eine Hand auf seine Schulter. »Lassen Sie die Notärzte arbeiten.«
Der Mann erhob sich schwankend, folgte ihm und Pia aber nur widerstrebend zu einem der Stehtische. Er presste eine blutbeschmierte Damenhandtasche an seine Brust.
»Darf ich fragen, wer Sie sind?«, begann Bodenstein, nachdem er sich vorgestellt hatte.
»Florian Finkbeiner«, antwortete der Mann mit brüchiger Stimme.
»Sind Sie verwandt mit …?«, begann Bodenstein.
»Ja, Josef Finkbeiner ist mein Vater. Unser Vater.« Unvermittelt schossen dem Mann die Tränen in die Augen. »Die Frau … das ist meine Zwillingsschwester Michaela. Ich … ich habe sie seit mehr als dreißig Jahren nicht mehr gesehen, seitdem wir vierzehn waren! Ich dachte, sie sei tot, das … das haben meine Eltern immer erzählt. Ich … ich war lange im Ausland, aber letztes Jahr war ich an Michaelas Grab. Als sie heute plötzlich dastand, das war … ein Schock.«
Seine Stimme versagte, er schluchzte. Und Bodenstein begriff. Mit einem Mal ordneten sich seine Gedanken, bildeten die Bruchstücke ein großes Ganzes und ergaben einen Sinn.
Die Frau, die zwei Männer erschossen und Josef Finkbeiner lebensgefährlich verletzt hatte, war die Ehefrau von Bernd Prinzler, die von ihrem Vater schon als kleines Kind missbraucht, gequält und schließlich in die Prostitution getrieben worden war. Prinzler hatte die Wahrheit gesagt.
»Warum hat Ihre Schwester auf Ihren Vater geschossen? Und warum auf die beiden Männer?«, wollte Pia wissen.
Wie Bodenstein nicht anders erwartet hatte, hatte der Mann keinen blassen Schimmer davon, welches Martyrium seine Zwillingsschwester erlebt hatte.
»Das ist nicht wahr!«, flüsterte er entsetzt, als Bodenstein ihn mit seinem Wissen konfrontierte. »Meine Schwester war zwar immer problematisch, das stimmt. Sie ist oft von zu Hause weggelaufen, hat Alkohol getrunken und Drogen genommen. Meine Eltern haben mir auch erzählt, dass sie jahrelang in der Psychiatrie war. Aber ich war auch nie glücklich. Es ist für Kinder nicht einfach, wenn sich die eigenen Eltern mehr um fremde Kinder kümmern als um die eigenen. Aber mein Vater hätte niemals meine Schwester … angefasst! Er hat sie über alles geliebt!«
»Ich fürchte, Sie machen sich etwas vor«, sagte Pia. »Ihre kleine Tochter hat eben, als Ihr Vater in den Rettungswagen geladen wurde, Ihre Frau gefragt, ob der böse Wolf jetzt tot sei und ihr nie wieder etwas tun könnte.«
Falls das noch möglich war, wurde Florian Finkbeiner noch eine Nuance blasser. Er schüttelte ungläubig den Kopf.
»Erinnern Sie sich an den Verdacht der Krankenhausärztin, dass Ihre kleine Tochter missbraucht worden sein könnte?«, fragte Pia. »Emma hatte befürchtet, dass Sie dem Mädchen etwas angetan haben könnten. Sie waren es nicht. Das war Ihr Vater.«
Florian Finkbeiner starrte sie an, schluckte schwer. Noch immer umklammerten seine Finger die Handtasche seiner Schwester.
»Michaela hatte früher auch immer Angst vor dem bösen Wolf. Ich hab nicht kapiert, dass das Hilferufe waren. Ich dachte, sie spinnt halt ein bisschen«, flüsterte er heiser. »Es war auch noch meine Idee, dass meine Frau und Louisa hier wohnen sollten, so lange, bis das Baby da ist. Das werde ich mir mein Leben lang nicht verzeihen.«
»Bitte, würden Sie uns die Handtasche geben?«, bat Pia, und Finkbeiner reichte sie ihr.
Staatsanwalt Frey kam in Begleitung einer dunkelhaarigen Frau in ihre Richtung. Die Frau wurde von jemandem aufgehalten, aber Frey trat zu ihnen an den Tisch. Er wollte Finkbeiner den Arm um die Schulter legen, aber dieser wich vor ihm zurück.
»Ihr habt doch
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