Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
ein wahrer Alleskönner und immer guter Laune. Wenn die Schwiegereltern irgendwohin mussten, gab er den Chauffeur, er montierte Regale, wechselte Glühbirnen aus, war aber auch für die Instandhaltung der Gebäude zuständig und hatte die Oberaufsicht über die Pflege des Parks und der Grünanlagen. Gemeinsam mit seiner Mutter Helga, die in der Küche arbeitete, lebte er im mittleren der drei Bungalows.
»Na, läuft der Fernseher wieder?«, erkundigte er sich, seine dunklen Augen, umgeben von einem Kranz Lachfältchen, blitzten belustigt.
»Ach, das ist mir immer noch peinlich.« Emma lachte verlegen. Vorgestern hatte sie Grasser angerufen und gebeten, nach ihrem Fernseher zu schauen, der nicht mehr funktionierte, dabei hatte sie nur versehentlich auf der Fernbedienung den Videokanal eingestellt, das war alles gewesen. Grasser musste sie für weltfremd halten!
»Besser, als wenn er wirklich kaputt gewesen wäre. Ich wollte heute Mittag die Mischbatterie bei Ihnen in der Küche auswechseln. Passt es Ihnen gegen zwei?«
»Ja, natürlich.« Emma nickte erfreut.
»Prima. Dann bis später!« Grasser lächelte und schwang sich wieder auf sein Fahrrad.
Gerade als Emma am Verwaltungsgebäude vorbeigehen und zur Villa einbiegen wollte, trat Corinna Wiesner, die Verwaltungschefin von Sonnenkinder e. V. , aus der Glastür, ein Handy am Ohr, und kam ihr mit schnellen Schritten entgegen. Sie sah konzentriert aus, aber als sie Emma erblickte, lächelte sie und beendete das Gespräch.
»Dieses Fest raubt mir noch den letzten Nerv!«, rief sie fröhlich und steckte das Handy weg. »Guten Morgen! Wie geht’s dir? Du siehst etwas müde aus.«
»Guten Morgen, Corinna«, erwiderte Emma. »Na ja, ich habe letzte Nacht nicht viel geschlafen. Wir hatten doch Klassentreffen.«
»Ach ja, stimmt. Und? War es schön?«
»Ja. Hat Spaß gemacht.«
Corinna war ein Energiebündel, besaß eine schier unerschütterliche Gelassenheit, ein computerähnliches Gedächtnis und war nie schlechter Laune. Als Verwaltungschefin hatte sie einen Job, der keinen Feierabend kannte: Sie kümmerte sich um das Personal, den Einkauf, die Organisation, die Zusammenarbeit mit Sozial- und Jugendämtern, kannte aber auch jede einzelne Bewohnerin des Mütterhauses und jedes Kind im Hort. Corinna hatte für alles und jeden ein offenes Ohr und Zeit. Darüber hinaus hatte sie vier Kinder, das jüngste war gerade mal zwei Jahre älter als Louisa. Emma staunte Tag für Tag, wie sie dieses Arbeitspensum bewältigte, ohne jemals auszurasten. Sie und ihr Mann Ralf waren selbst Zöglinge der Sonnenkinder , Ralf war ein Pflegekind von Emmas Schwiegereltern gewesen und Corinna als Säugling von ihnen adoptiert worden. Beide gehörten zu Florians ältesten und besten Freunden.
»Na, das sieht mir aber nicht so aus, als hättest du einen lustigen Abend gehabt.« Corinna legte Emma freundschaftlich den Arm um die Schultern. »He, was ist los?«
»Ich mache mir ein bisschen Sorgen um Louisa«, gab Emma zu. »Sie verhält sich seit ein paar Tagen irgendwie seltsam, hat angeblich Bauchweh und ist lustlos.«
»Hm. Warst du mit ihr mal beim Kinderarzt?«
»Florian hat sie untersucht, konnte aber nichts feststellen.«
Corinna runzelte die Stirn.
»Das solltest du beobachten«, riet sie. »Aber dir geht es gut, oder?«
»Na ja, ich wünschte, das Baby käme bald«, erwiderte Emma. »Die Hitze macht mir zu schaffen. Aber wenigstens scheint Florian sich allmählich etwas wohler zu fühlen. Die letzten Wochen waren schon ziemlich schwierig.«
Sie hatte vor einer Weile mit Corinna über Florians verändertes Verhalten gesprochen, und Corinna hatte ihr zu Geduld geraten. Für einen erwachsenen Mann sei es nie leicht, ins Haus seiner Eltern zurückzukehren, hatte sie gesagt, erst recht nicht für jemanden, der jahrelang in Krisengebieten unter höchster Anspannung gestanden habe und plötzlich in einer Welt des Überflusses gelandet war.
»Das freut mich.« Corinna lächelte. »Vielleicht kriegen wir es ja hin, dass wir mal zusammen grillen, bevor das Baby da ist. Ich habe Flori schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, obwohl er nur ein paar hundert Meter entfernt wohnt.«
Ihr Handy klingelte, sie warf einen Blick auf das Display.
»Oh, entschuldige, da muss ich drangehen. Wir sehen uns später bei Josef und Renate wegen der Gästeliste für den Empfang und das Fest.«
Emma blickte ihr verwirrt nach, wie sie mit energischen Schritten zum Mütterhaus hinüberging. Wieso
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