Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
schossen Hanna durch den Kopf. Stimmte das? War sie ein Panzer, der alle anderen Menschen niederwalzte?
»Und wenn schon«, murmelte sie mit einem Anflug von Trotz. So war sie eben. Sie brauchte keinen Mann in ihrem Leben.
An der ersten Kreuzung im Wald entschied sie sich für den längeren Weg und bog nach rechts ab. Ihre Atmung normalisierte sich, ihre Schritte wurden elastischer. Sie hatte ihren Laufrhythmus gefunden und spürte die Schmerzen kaum noch. Aus Erfahrung wusste sie, dass sie gleich ganz verschwunden sein würden, noch ein paar Minuten, bis ihr Körper die Endorphine ausschüttete, die Schmerz und Erschöpfung ausschalteten. Nun konnte sie ihre Gedanken um ihr Problem kreisen lassen und die Natur genießen. Den würzigen Geruch, den der Wald nur in den frühen Morgenstunden ausströmte, den federnden Boden, der so viel angenehmer zu laufen war als Asphalt. Es war kurz nach sieben, als sie den Waldrand erreichte und die weiße Kuppel des Baha’i-Tempels in der bereits hoch am Himmel stehenden Sonne leuchten sah. Obwohl sie lange nicht gelaufen war, keuchte sie noch nicht. Ihre Kondition war nicht völlig verschwunden. Zwanzig Minuten benötigte sie für den Rückweg wieder quer durch den Wald bis zur Wochenendhaussiedlung, wie der Teil von Langenhain genannt wurde, in dem ihr Haus stand. Sie war schweißgebadet, als sie in Schritt fiel, doch diesmal war es angenehmer, ehrlicher Sportschweiß, kein Angstschweiß wie letzte Nacht. Und sie hatte auch eine Strategie entwickelt, die sie beim Mittagessen später mit Wolfgang besprechen würde. Hanna zog die Ohrstöpsel aus den Ohren und kramte in der Tasche ihrer Laufjacke nach dem Haustürschlüssel. Im Vorbeigehen streifte sie mit einem flüchtigen Blick ihr Auto, das sie gestern Abend nicht mehr in die Garage gestellt, sondern neben Meikes Mini stehen gelassen hatte.
Was war das denn?
Hanna traute ihren Augen nicht. Alle vier Reifen ihres schwarzen Panamera waren platt! Sie wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn und ging näher heran. Ein platter Reifen konnte noch ein Zufall sein, nicht aber alle vier. Doch erst als sie das Auto genauer betrachtete, sah sie das Schlimmste. Sie erstarrte. Ihr Herz begann zu rasen, ihre Knie wurden weich und sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen, Tränen des hilflosen Zorns. Jemand hatte in den glänzend schwarzen Lack der Kühlerhaube ein Wort geritzt. Ein einziges Wort, brutal und unmissverständlich, in großen ungelenken Buchstaben. FOTZE .
*
Bodenstein stellte eine Tasse unter den Auslauf des Kaffeeautomaten und drückte auf den Knopf. Das Mahlwerk rasselte, Sekunden später zog köstlicher Kaffeeduft durch die winzige Küche.
Inka hatte ihn um kurz nach Mitternacht nach Hause gefahren. Er hatte beim Pizzaessen das Gespräch fast alleine bestritten, aber das war ihm erst aufgefallen, als sie ihn auf dem Parkplatz vor dem Kutscherhaus abgesetzt hatte. Seitdem sie das Haus besichtigt hatten, war Inka so wortkarg gewesen wie selten, und Bodenstein fragte sich, ob er irgendetwas gesagt oder getan hatte, was sie verärgert haben könnte. Hatte er sich nicht angemessen bei ihr bedankt, dafür, dass sie ihn am Flughafen abgeholt und sich um die Schlüssel für das Haus gekümmert hatte? In seiner Euphorie über das befreite Gefühl, mit dem er aus Potsdam zurückgekehrt war, hatte er tatsächlich den ganzen Abend nur über und von sich und seinen Befindlichkeiten gesprochen. Das war eigentlich gar nicht seine Art. Bodenstein beschloss, Inka später anzurufen und sich dafür zu entschuldigen.
Er trank den Kaffee aus und zwängte sich in das winzige fensterlose Badezimmer, das er nach dem beinahe luxuriösen Bad in dem Potsdamer Hotel als noch dunkler und enger empfand als sonst.
Es war wirklich höchste Zeit, endlich wieder ein richtiges Zuhause zu haben – eigene Möbel, ein anständiges Badezimmer, eine Küche mit mehr als nur zwei Kochplatten. Die zwei Zimmer im Kutscherhaus mit den niedrigen Decken, den Fensterchen, die kaum größer waren als Schießscharten und den Türrahmen in Zwergenhöhe, an denen er sich ständig den Kopf stieß, hatte er satt. Genauso, wie er es satthatte, als Gast bei seinen Eltern und seinem Bruder zu wohnen, zumal er wusste, dass seiner Schwägerin ein zahlender Mieter für das Kutscherhaus sehr viel lieber wäre als ein Verwandter, der nur für die Umlagen aufkam. Immer wieder fragte sie ganz unverblümt, wann er denn endlich ausziehen würde, und
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