Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
Wortwitz, Eloquenz und Charme verstand er diejenigen, die ihm nützlich erschienen, um den Finger zu wickeln, aber er konnte auch ganz anders sein.
Er selbst hatte ihm schon oft genug in die Augen geschaut, bis tief in diese schwarze, von Ehrgeiz zerfressene Seele. Frey war ein erbarmungsloser Machtmensch – überheblich und geltungssüchtig. Deshalb erstaunte es ihn auch nicht, dass er die Ermittlungen an sich gerissen hatte. Der Fall versprach jede Menge öffentliche Aufmerksamkeit, und danach war Frey geradezu süchtig.
Das Handy klingelte wieder, er ging dran. Es war sein Boss aus der Pommesbude, dessen Stimme sich vor Wut überschlug.
»Haste mal auf die Uhr geguckt, du fauler Penner, du?«, kreischte der Fette. »Sieben Uhr ist sieben Uhr und nicht acht oder neun! Du bist in zehn Minuten hier, sonst kannst du …«
Seine Entscheidung war in der Sekunde gefallen, als er Staatsanwalt Frey auf dem Bildschirm gesehen hatte. Einen Job wie den in der Imbissbude konnte er immer finden. Jetzt hatte anderes Vorrang.
»Leck mich am Arsch«, unterbrach er den fetten Halsabschneider. »Such dir einen anderen Idioten.«
Damit drückte er das Gespräch weg.
Es gab viel zu tun. Er konnte sich darauf gefasst machen, dass früher oder später die Polizei hier auftauchen, sein Hab und Gut durchwühlen und den Wohnwagen auf den Kopf stellen würde. Erst recht, weil Don Maria nun die Regie übernommen hatte. Und der hatte ein Gedächtnis wie ein Elefant, besonders was ihn betraf.
Er ging auf die Knie und zog unter der Eckbank einen braunen Pappkarton hervor. Vorsichtig stellte er ihn auf den Tisch und hob den Deckel ab. Zuoberst lag eine Klarsichthülle, in der sich ein Foto befand. Er nahm es heraus und betrachtete es andächtig. Wie alt mochte sie gewesen sein, als das Foto gemacht worden war? Sechs? Sieben?
Zärtlich streichelte er das süße Kindergesicht mit dem Daumen und küsste es schließlich, bevor er das Foto in einer Schublade unter einem Stapel Wäsche verstaute. Die Sehnsucht schmerzte wie Messerstiche. Er holte tief Luft. Dann schloss er den Karton wieder, klemmte ihn unter den Arm und verließ den Wohnwagen.
*
Bodenstein und Pia verließen den Bereitschaftsraum im Erdgeschoss der Regionalen Kriminalinspektion, der quasi über Nacht zur Soko-Zentrale umfunktioniert worden war. Es war der einzige größere Raum im Gebäude, der unter der Ägide von Kriminaldirektor Nierhoff mehrfach Schauplatz spektakulärer Pressekonferenzen gewesen war, für die der Vorgänger von Dr. Nicola Engel eine ganz besondere Vorliebe gehegt hatte. Während der ganzen turbulenten Besprechung hatte Pia versucht, sich daran zu erinnern, was sie ihrem Chef hatte sagen wollen. Es war wichtig gewesen, das wusste sie noch, aber es fiel ihr nicht mehr ein.
»Unsere Chefin war wieder mal einsame Spitze«, sagte Pia, als sie die Sicherheitsschleuse hinter sich gelassen hatten und über den Parkplatz gingen.
»Ja, heute war sie in absoluter Hochform«, bestätigte Bodenstein.
Um kurz vor neun Uhr hatte ein junger übereifriger Abgesandter der Frankfurter Staatsanwaltschaft einen filmreifen Auftritt hingelegt. Mit zwei Kollegen war er in die Besprechung geplatzt, hatte großspurig das Wort ergriffen und Pia vor allen anwesenden Beamten der Soko »Nixe« angeschnauzt, weil sie seines Erachtens zu voreilig mit zu vielen Informationen an die Presse gegangen sei. Er hatte in völliger Überschreitung seiner Kompetenzen sogar verlangt, dass man ihm und seiner Behörde die Leitung der Ermittlung übertrage. Bevor Pia etwas erwidern konnte, hatte Dr. Engel eingegriffen. Bei der Erinnerung daran, wie sie den kleinen Wichtigtuer mit ein paar kühlen Worten in den Senkel gestellt hatte, musste Pia grinsen.
Dr. Nicola Engel war eine zierliche Person, sie wirkte in ihrem weißen Leinenkostüm zwischen all den Männern und Uniformen mädchenhaft und sogar beinahe zerbrechlich, doch das täuschte. Immer wieder begingen Leute den fatalen Fehler, sie zu unterschätzen, und der junge Staatsanwalt gehörte zu der überheblichen Sorte Mann, der Frauen prinzipiell unterschätzte. Nicola Engel konnte sehr lange schweigend eine Diskussion verfolgen, aber wenn sie schließlich etwas sagte, dann trafen ihre Worte mit der unfehlbaren Präzision einer computergesteuerten Interkontinentalrakete auf den Punkt, meist mit ähnlich vernichtender Wirkung.
Der Staatsanwalt hatte zügig das Feld geräumt, nachdem er das totale Scheitern seiner Mission eingesehen
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