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Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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aufgekommen sein musste, außer dem Mädchen sei gestern Abend noch ein Junge Opfer des Phänomens »Komasaufen« geworden, und nun verlangte die Pressemeute gierig nach Details. Für einen kurzen Moment war sie verunsichert. Hatten die Pressefritzen etwa aktuellere Informationen aus dem Krankenhaus als sie selbst? War Alexander gestorben?
    »Wieso haben Sie verschwiegen, dass es einen zweiten Toten gibt?«, übertönte ein junger Mann alle anderen und richtete sein Mikrophon wie eine Waffe auf Pia. »Was will die Polizei damit bezwecken?«
    Sie wunderte sich nicht zum ersten Mal in ihrem Leben über die Aggressivität und Aufgeregtheit mancher Reporter. Ob sie der Meinung waren, eher etwas zu erfahren, wenn sie besonders laut schrien?
    »Es gibt keinen zweiten Toten«, erwiderte Bodenstein anstelle von Pia und schob energisch das Mikrophon zur Seite. »Und jetzt lassen Sie uns durch.«
    Es dauerte ein paar Minuten, bis sie sich zur Eingangstür des Instituts durchgekämpft hatten. Im Innern des Gebäudes herrschte Kühle und eine beinahe weihevolle Stille, irgendwo klapperte eine Computertastatur. Die Türen zum Hörsaal an der Kopfseite des holzgetäfelten Flurs standen offen, die Sitzreihen waren leer, aber Pia vernahm eine Stimme und warf einen Blick in den großen Raum. Oberstaatsanwalt Dr. Markus Maria Frey wanderte telefonierend hin und her, heute wieder korrekt in Dreiteiler und mit penibel gescheiteltem Haar. Als er Pia erblickte, beendete er sein Telefonat und steckte das Handy weg. Seine verärgerte Miene glättete sich.
    »Ich muss mich für das Benehmen meines jungen Kollegen von heute Morgen entschuldigen«, sagte er, reichte erst Pia, dann Bodenstein die Hand. »Herr Tanouti ist noch etwas übereifrig.«
    »Kein Problem«, erwiderte Pia. Sie war etwas überrascht, Dr. Frey hier zu sehen, denn es war ungewöhnlich, dass er selbst zu einer Obduktion in der Rechtsmedizin erschien.
    »Na ja, Kriminalrätin Engel hat ihm wohl die Lektion erteilt, die er gebraucht hat.« Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Oberstaatsanwalts, doch er wurde gleich wieder ernst. »Was hat es mit dem Gerede von einem zweiten Toten auf sich?«
    »Glücklicherweise nichts«, übernahm Bodenstein. »Meine Kollegin hat erst vor einer halben Stunde mit dem Krankenhaus telefoniert. Der Zustand des Jungen, der gestern in der Nähe der Leiche gefunden wurde, ist zwar unverändert kritisch, aber er lebt.«
    Während sie die Treppe hinunter in den Keller des Instituts nahmen, klingelte das Telefon des Staatsanwalts wieder, er blieb zurück.
    Der Sektionsraum 1 war zu klein, um alle Leute zu fassen. Henning Kirchhoff und sein Chef Professor Thomas Kronlage führten die Obduktion des Mädchens aus dem Main gemeinsam durch, unterstützt von zwei Sektionsassistenten. Die Staatsanwaltschaft hatte gleich drei Beamte aufgeboten, unter anderem den ehrgeizigen Heißsporn von heute Morgen; ein Polizeifotograf, an dessen Namen Pia sich nicht erinnerte, komplettierte die Besetzung.
    »Wegen Überfüllung geschlossen«, raunte Hennings Mitarbeiter Ronnie Böhme Pia zu, als sie und Bodenstein sich am Sektionstisch vorbeiquetschten.
    »Das ist hier keine rechtsmedizinische Vorlesung für Juristen«, beschwerte sich Henning bei Oberstaatsanwalt Frey. Man kannte sich gut, schließlich kam es nicht selten vor, dass die Rechtsmediziner von Staatsanwaltschaft oder Gericht als Gutachter bestellt wurden. »Muss das sein, dass uns gleich vier von euch hier im Weg herumstehen?«
    Die Vertreter der Staatsanwaltschaft steckten die Köpfe zusammen, dann verschwanden zwei von ihnen mit kaum verhohlener Erleichterung, zurück blieben Don Maria Frey und der übereifrige Merzad Tanouti.
    »Schon besser«, knurrte Henning.
    Die Obduktion eines so jungen Menschen bedeutete für alle Anwesenden eine starke seelische Belastung, die Stimmung war angespannt, selbst Henning sparte sich jeden Zynismus. Tote Kinder und Jugendliche sorgten bei allen Beteiligten für echte Betroffenheit. Weder Bodenstein noch die Staatsanwälte waren zum ersten Mal bei einer gerichtlichen Leichenöffnung dabei, und Pia hatte unzählige Abende und Wochenenden in diesem oder dem benachbarten Sektionsraum 2 verbracht, als sie noch mit Henning verheiratet gewesen war. Um ihren Mann wenigstens gelegentlich zu Gesicht zu bekommen, war ihr häufig nichts anderes übrig geblieben, denn seine Arbeitseinstellung grenzte hart an Fanatismus.
    Pia hatte schon Leichen in jedem Stadium der Verwesung und

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