Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
Lungenödem bildet sich beispielsweise in Salzwasser.« Henning nahm seine Brille ab und polierte sie seelenruhig mit einem Papierhandtuch. Dann hielt er die Brille gegen das Licht und prüfte mit zusammengekniffenen Augen, ob sie sauber genug war. »Oder bei Ertrinken in gechlortem Wasser, etwa in einem Schwimmbad.«
Pia wechselte einen raschen Blick mit ihrem Chef. Das war nun wirklich ein äußerst wichtiges Detail, typisch für Henning, dass er es sich bis zum Schluss aufgehoben hatte.
»Das Mädchen ist in Chlorwasser ertrunken«, sagte er schließlich. »Eine genaue Analyse der Wasserprobe aus den Lungen wird das Labor in den nächsten Tagen liefern. Ihr entschuldigt mich. Pia, Bodenstein, Herr Staatsanwalt, noch einen angenehmen Tag. Ich muss das Obduktionsprotokoll tippen.«
Er zwinkerte Pia zu und ging hinaus.
»So ein überheblicher Idiot«, knurrte der junge Staatsanwalt hinter Henning Kirchhoff her, dann verschwand auch er.
»Tja, jeder findet mal seinen Meister«, kommentierte Bodenstein trocken.
»Und das Bürschchen hat ihn heute gleich zweimal gefunden«, erwiderte Pia. »Erst die Engel und dann Henning – für heute sollte es ihm reichen.«
*
Als Emma mit Louisa von der Kita kam, war der Kaffeetisch auf der Terrasse bereits gedeckt. Ihre Schwiegereltern saßen im Schatten der von Efeu und einer violett blühenden Glyzinie bewachsenen Pergola in gemütlichen Rattansesseln und spielten Scrabble.
»Hallo, Renate! Hallo, Josef!«, rief Emma. »Da sind wir wieder.«
»Pünktlich zu Tee und Kuchen.« Renate Finkbeiner setzte ihre Lesebrille ab und lächelte.
»Und pünktlich zu meinem 3:2-Sieg«, ergänzte Josef Finkbeiner. »Quagga. Das ergibt achtundvierzig Punkte. Damit hab ich dich geschlagen.«
»Was ist denn das für ein Wort?«, entgegnete Renate mit gespielter Empörung. »Das hast du dir doch gerade ausgedacht.«
»Nein, habe ich nicht. Ein Quagga ist eine ausgestorbene Zebraart. Gib schon zu, dass ich heute einfach besser war.« Josef Finkbeiner lachte, beugte sich zu seiner Frau hinüber und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dann schob er den Sessel zurück und breitete die Arme aus. »Komm mal her zu Opa, Prinzessin. Ich habe extra für dich das Planschbecken volllaufen lassen. Möchtest du nicht rasch deinen Badeanzug holen?«
»Au ja«, sagte Emma, die sich am liebsten selbst der Länge nach in das Planschbecken gelegt hätte. Früher war sie gegen Hitze immun gewesen, doch diese Temperaturen verbunden mit hoher Luftfeuchtigkeit waren schier unerträglich.
Louisa ließ sich bereitwillig von ihrem Großvater in die Arme nehmen.
»Wollen wir deinen Badeanzug holen?«, fragte Emma.
»Nee.« Louisa machte sich von ihrem Großvater los, kletterte auf einen der Sessel, ihr Blick war auf den Tisch fixiert. »Will lieber Kuchen.«
»Na dann.« Renate Finkbeiner lachte und hob die Abdeckhauben, die sie zum Schutz gegen Insekten über die Kuchen gestülpt hatte. »Was magst du denn lieber? Erdbeerkuchen oder Käsesahnetorte?«
»Käsesahne!«, rief Louisa mit glänzenden Augen. »Mit extra Sahne!«
Die Schwiegermutter tat Louisa und Emma je ein Stück Käsesahnetorte auf den Teller, dann schenkte sie Emma eine Tasse Darjeeling ein. In Rekordgeschwindigkeit schaufelte Louisa die Torte in sich hinein.
»Will noch eins«, verlangte sie mit vollem Mund.
»Wie heißt das Zauberwort?«, fragte der Großvater, der das Scrabble-Spiel zusammengeräumt hatte.
»Bütte«, murmelte Louisa und grinste spitzbübisch.
»Aber nur ein kleines Stück«, mahnte Emma.
»Nein! Ein großes!«, widersprach Louisa, ein Brocken der Torte fiel ihr aus dem Mund.
»Na, na, was ist denn das für ein Benehmen, Prinzessin?« Josef Finkbeiner schüttelte missbilligend den Kopf. »Gut erzogene Mädchen sprechen nicht mit vollem Mund.«
Louisa sah ihn zweifelnd an, nicht ganz sicher darüber, ob er es ernst meinte oder scherzte. Aber er sah sie ohne zu lächeln streng an, und sie würgte den letzten Brocken Kuchen herunter.
»Bitte, liebe Oma«, sagte Louisa und hielt ihrer Großmutter den Teller hin. »Noch ein Stück Käsekuchen, bitte.«
Emma schwieg, als sie den um Anerkennung heischenden Blick ihrer Tochter sah, den diese ihrem Großvater zuwarf.
Der nickte und zwinkerte dem Kind zu, Louisa strahlte augenblicklich, und Emma verspürte einen kleinen Stich, der sich wie Eifersucht anfühlte.
Sosehr sie sich auch bemühte, sie fand keinen rechten Zugang zu ihrer Tochter. Seitdem sie hier wohnten, war
Weitere Kostenlose Bücher