Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
es noch schwieriger geworden, oft fühlte sie sich regelrecht ausgeschlossen. Louisa respektierte sie einfach nicht. Ihrem Schwiegervater und Florian gehorchte sie hingegen widerspruchslos, ja, beinahe freudig. Woran mochte das liegen? Fehlte ihr die Autorität? Was machte sie bloß falsch? Corinna meinte, es sei normal, dass Mädchen oft ausgesprochene Papakinder waren und sich gerade in diesem Alter an der Mutter rieben. Dasselbe hatte Emma auch in diversen Erziehungsratgebern gelesen, trotzdem war es schmerzlich.
»Ich lasse die Damen jetzt mal alleine bei ihrer Teestunde.« Josef Finkbeiner erhob sich, klemmte sich den Karton mit dem Scrabble-Spiel unter den Arm und deutete eine Verbeugung an, worüber Louisa laut lachte. »Renate, Emma, Prinzessin – ich wünsche noch einen angenehmen Nachmittag.«
»Opa, liest du mir gleich noch was vor?«, rief Louisa.
»Heute schaffe ich das leider nicht«, entgegnete der Schwiegervater. »Ich muss gleich noch mal weg. Aber morgen wieder.«
»Okay«, akzeptierte Louisa. Mehr nicht.
Hätte Emma ihr eine solche Absage erteilt, hätte sie einen Wutanfall bekommen. Emma pickte das letzte Stück des Tortenbodens mit der Gabel auf und blickte ihrem Schwiegervater nach. Sie schätzte und mochte ihn sehr, dennoch gab er ihr in Momenten wie diesen immer das Gefühl, in puncto Kindererziehung eine komplette Versagerin zu sein.
Die warme Luft war erfüllt vom Summen der Bienen, die in den Rosenbüschen und den Blumenrabatten rings um die Terrasse eifrig Nektar sammelten. Weiter hinten im Park dröhnte ein Rasenmäher, es duftete nach frisch gemähtem Gras.
»Hast du zufällig die Gästeliste bei dir?«, riss ihre Schwiegermutter Emma aus ihren trüben Gedanken. »Ach, du glaubst nicht, wie sehr ich mich freue, endlich alle meine Kinder einmal wiederzusehen.«
Emma zog die Mappe aus ihrer Schultertasche und schob sie ihrer Schwiegermutter hin. Es freute sie, dass Corinna ihr die Gästebetreuung und die Gestaltung und Versendung der Einladungen übertragen hatte. Das gab ihr das Gefühl, wirklich zur Familie zu gehören und nicht nur Gast zu sein. Sie hatte die Liste aus einer bestehenden Exceldatei angelegt; ihr selbst sagten fünfundneunzig Prozent der Namen nichts, Renate hingegen stieß bei jedem Haken, der eine Zusage kennzeichnete, einen kleinen Freudenschrei aus.
Ihre ehrliche Begeisterung rührte Emma.
Renate war eine Frau, die mit einem heiteren Lächeln durchs Leben ging und Negatives schlicht ignorierte. Sie interessierte sich keinen Deut für das, was in der Welt passierte, las weder die Tageszeitung, noch schaute sie Nachrichten. Florian bezeichnete seine Mutter mit kaum verhohlener Verachtung als weltfremd, naiv und anstrengend oberflächlich. Tatsächlich war ihre beharrliche Fröhlichkeit manchmal nur schwer zu ertragen, aber sie war allemal besser als die Kritiksucht und depressiven Verstimmungen von Emmas eigener Mutter.
»Ach Gott, wie die Zeit vergeht«, seufzte Renate und fuhr sich über die feuchten Augen. »Sie sind alle längst erwachsene Männer und Frauen, aber ich sehe immer noch die Kinder vor mir, wenn ich ihre Namen lese.«
Sie tätschelte Emmas Hand.
»Es macht mich sehr glücklich, dass du und Florian diesmal mit dabei sein werdet.«
»Wir freuen uns auch sehr«, erwiderte Emma, wenngleich sie absolut nicht sicher war, ob Florian sich tatsächlich auf den Empfang und das Sommerfest freute. Er hatte für das Lebenswerk seiner Eltern, in das diese den Großteil ihres Vermögens gesteckt hatten, nur wenig übrig.
»Stopp!« Emma schaffte es gerade noch, Louisa daran zu hindern, sich ein weiteres Stück Torte zu angeln. »Du hast doch noch die Hälfte auf dem Teller.«
»Ich mag aber nur das Weiche!«, protestierte Louisa kauend.
»Den Boden musst du aber auch essen. Oder soll die Oma den in den Mülleimer werfen?«
Louisa zog eine Flunsch.
»Will noch Kuchen!«, verlangte sie.
»Aber Liebes, du hattest doch schon zwei große Stücke«, erwiderte Renate.
»Aber ich will!«, insistierte das Kind mit gierigem Blick.
»Nein. Schluss!«, sagte Emma entschieden und nahm Louisa den Teller aus der Hand. »Gleich gibt es noch Abendbrot. Erzähl Oma lieber, was ihr heute in der Kita gemacht habt.«
Louisa presste trotzig die Lippen aufeinander, dann begriff sie, dass sie tatsächlich kein drittes Stück Kuchen mehr zu erwarten hatte, und brach in Tränen aus. Sie kletterte von ihrem Stuhl herunter und blickte sich wild um.
»Wehe!«, rief Emma
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