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Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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warnend, aber es war zu spät. Die Kleine trat gegen die Vogeltränke aus Keramik, die von dem Stein rutschte, auf dem sie stand, und zerbrach.
    »Aber Kind, die schöne Vogeltränke!«, rief die Schwiegermutter.
    Emma sah, dass Louisa schon das nächste Ziel im Visier hatte, einen Blumentopf mit blühenden Geranien. Sie sprang auf und erwischte ihre Tochter gerade noch am Arm, bevor sie weiteres Unheil anrichten konnte. Louisa wehrte sich gegen ihren Griff, sie kreischte in einer Frequenz, die Glas zerspringen lassen konnte, trat und schlug um sich. Gelegentliche Temperamentsausbrüche war Emma von ihrer Tochter gewohnt, aber die Heftigkeit ihres Wutanfalls erschreckte sie.
    »Ich will Ku-chen! Ich will Ku-chen!«, kreischte sie, krebsrot im Gesicht und völlig außer sich. Die Tränen spritzten aus ihren Augen, sie warf sich auf den Boden.
    »Jetzt ist aber Schluss mit dem Theater«, zischte Emma. »Wir gehen hoch in die Wohnung, bis du dich beruhigt hast.«
    »Blöde Mama! Blöde Mama! Kuchen! Ich will Ku-cheeeen!«
    »Dann lass sie doch noch ein Stück essen«, mischte sich Renate ein.
    »Ganz sicher nicht!« Emma funkelte ihre Schwiegermutter wütend an. Wie sollte sie sich jemals bei Louisa durchsetzen können, wenn ihre Schwiegereltern jede Erziehungsmaßnahme derart torpedierten?
    »Kuchen! Kuchen! Kucheeeen! « Louisa steigerte sich in eine echte Hysterie, sie lief dunkelrot an, und Emma war nahe daran, ihre Geduld zu verlieren.
    »Wir gehen besser mal nach oben«, sagte sie. »Tut mir leid. Irgendetwas ist mit ihr in den letzten Tagen nicht in Ordnung.«
    Sie zerrte ihre kreischende und heulende Tochter hinter sich ins Haus. Der friedliche Nachmittag war vorbei.
    *
    Es gab Tage, die aus einer bloßen Aneinanderreihung schlichter Alltagsbanalitäten bestanden, zu ereignislos, um sich an sie zu erinnern. Die meisten Menschen ließen diese Tage achtlos an sich vorbeifließen, bemaßen den Lauf der Jahre an Geburts- und Feiertagen oder irgendwelchen herausragenden Ereignissen, auf die sich ihr Leben im Rückblick dann reduzierte. Pia hatte sich schon vor vielen Jahren angewöhnt, ein tägliches Kurztagebuch zu führen, in das sie alles, was am Tag geschehen war, in Stichworten notierte. Manchmal amüsierte sie sich selbst darüber, welchen unbedeutenden Mist sie eintrug, aber diese trivialen Notizen verschafften ihr das befriedigende Gefühl, ihr Leben bewusster zu empfinden und keinen Tag einfach nutzlos verstreichen zu lassen.
    Pia bremste und fuhr rechts ran, um den Traktor, der von der anderen Seite in die Unterführung einbog, vorbeizulassen. Sie hob grüßend die Hand, Hans Georg, der Landwirt, der oben in Liederbach seinen Hof hatte und für sie jedes Jahr Heu und Stroh presste, grüßte zurück.
    An Tagen wie heute hingegen blieb der Kalender oftmals leer. Was hätte sie auch notieren sollen? Mädchenleiche gefunden, verstockte Jugendliche verhört, Obduktion von 12 bis 16 Uhr, 126 nutzlose Hinweise am Telefon entgegengenommen, Presseanfragen abgewimmelt, den ganzen Tag nichts gegessen, Kathrin Fachinger besänftigt, abends Rasen gemäht? Wohl kaum.
    Pia hatte den Birkenhof erreicht. Sie drückte auf die Fernbedienung, worauf das grüne Tor langsam vor ihr aufschwang. Dieser Luxus war eine von vielen Neuerungen, die Christoph und sie in den vergangenen Monaten dem Hof hatten angedeihen lassen, nachdem die Stadt Frankfurt die seit Jahren drohende Abrissverfügung endgültig zu den Akten gelegt hatte. Durch das heruntergelassene Fenster drang der würzige Duft von frisch gemähtem Gras, und Pia stellte fest, dass Christoph ihr zuvorgekommen war. Der Rasenstreifen zwischen den Birken auf der linken Seite der geschotterten Auffahrt, denen der Hof seinen Namen verdankte, war akkurat gemäht.
    Es war die richtige Entscheidung gewesen, den Rabenhof in Ehlhalten nicht zu kaufen. Allein die Renovierung des Anwesens hätte sie auf ewig und drei Tage verschuldet, und da das Bauamt im vergangenen Sommer endlich grünes Licht für den Umbau des Hauses auf dem Birkenhof gegeben hatte, hatten sie lieber Geld in die Modernisierung des doch recht primitiven Häuschens gesteckt.
    Pia hielt vor der Garage und stieg aus. Nach zehn Monaten, die sie auf einer Baustelle zwischen Gerüsten, Bauschutt, aufgerissenen Böden, Farb- und Mörteleimern gelebt hatten, war vor ein paar Wochen alles fertig geworden. Das Haus war um ein Stockwerk in die Höhe gewachsen, es hatte ein neues Dach, neue Fenster, eine Wärmedämmung und vor

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