Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
allen Dingen eine anständige Heizung bekommen, denn die alte Elektroheizung hatte ihnen regelmäßig eine horrende Stromrechnung beschert. Nun sorgten ein moderner Luftwärmetauscher und Solarzellen auf dem Dach für Heizung und warmes Wasser. Mit diesen Investitionen hatten sie zwar ihren Kreditrahmen bis aufs Äußerste strapaziert, aber aus dem Provisorium war ein echtes Zuhause geworden. Christophs schöne Möbel waren aus dem Lagerhaus befreit worden, wo sie nach dem Verkauf seines Hauses in Bad Soden eingelagert worden waren.
Pia sehnte sich nach dem anstrengenden Tag nur noch nach einer Dusche, etwas zu essen und einem Glas Wein auf der Terrasse. Die Pferde waren noch auf der Koppel, die Haustür stand weit offen, aber von den Hunden war keine Spur zu sehen. In der Ferne hörte sie den Motor des Traktors. Wahrscheinlich war Christoph auf der hinteren Wiese zugange, und die Hunde leisteten ihm dabei Gesellschaft. Da tauchte der alte rote Traktor auf, auf dem Notsitz neben dem Fahrer hüpfte eine kleine blonde Gestalt auf und ab und winkte mit beiden Armen.
»Piiiiiiaaaa! Pia!«, übertönte eine helle Stimme das Knattern des Motors. Großer Gott! Sie hatte bei all dem Trubel, der sie den ganzen Tag über in Atem gehalten hatte, doch tatsächlich vergessen, dass Lilly heute angekommen war! Pias Begeisterung hielt sich in Grenzen. Adieu Ruhe und Entspannung bei einem Glas Wein!
Christoph bremste unter dem Walnussbaum, Lilly kletterte in affenartiger Geschwindigkeit vom Traktor und kam auf Pia zugerannt.
»Pia! Pia! Ich freu mich so!«, rief sie und strahlte über ihr ganzes sommersprossiges Gesicht. »Ich bin so glücklich, dass ich wieder in Deutschland bin!«
»Ja, und ich erst!« Pia grinste schief, breitete die Arme aus und fing das Mädchen auf. »Willkommen auf dem Birkenhof, Lilly!«
Die Kleine schlang die Arme um Pias Hals und presste ihr Gesicht an ihre Wange. Ihre Freude war so ehrlich und ohne jede Berechnung, dass es Pia ans Herz rührte.
»Es ist soooo schön hier, wirklich!«, sprudelte es aus dem Kind nur so heraus. »Die Hunde sind so süß und die Pferde auch und überhaupt ist hier alles so schön und so grün, viel schöner als zu Hause!«
»Na, das freut mich ja.« Pia lächelte. »Wie findest du dein Zimmer?«
»Toll!« Lillys Augen leuchteten, sie hielt Pias Hand umklammert. »Weißt du wa-as, Pia? Irgendwie kommt ihr mir gar nicht fremd vor, weil wir ja immer skypen. Und das ist so toll. Ich werde sicher überhaupt nie gar kein Heimweh haben.«
Christoph hatte den Traktor abgestellt und kam über den Hof, gefolgt von den vier Hunden, deren Zungen fast bis auf den Boden hingen.
»Opa und ich sind mit dem Traktor rumgefahren, und die Hunde sind die ganze Zeit mit gerannt«, erzählte Lilly begeistert. »Ich hab mit Opa die Pferde auf die Koppel gebracht und, weißt du, der Opa hat mein absolutes Lieblingsessen gemacht, genau wie ich’s mir gewünscht hab: Rouladen!«
Sie riss die Augen auf, rieb sich den Bauch und Pia musste lachen.
»Hallo, Opa«, sagte sie zu Christoph und grinste. »Ich hoffe, ihr habt mir noch ein bisschen Lieblingsessen übrig gelassen. Ich hab nämlich einen Bärenhunger.«
*
Louisa war endlich eingeschlafen. Zwei Stunden lang hatte sie in ihrem Zimmer in einer Ecke gesessen, mit starrem Blick, den Daumen im Mund. Als Emma sie hatte anfassen wollen, hatte sie nach ihr getreten. Irgendwann war sie erschöpft eingenickt, und Emma hatte sie ins Bett gelegt. Dieses eigenartige Verhalten hatte Emma mehr erschreckt als der unbeherrschte Wutausbruch zuvor. Sie klemmte sich das Babyphon unter den Arm und verließ die Wohnung. Zwar war die Besprechung mit Corinna erst für sieben Uhr angesetzt, aber Emma hoffte, noch kurz unter vier Augen mit ihrem Schwiegervater sprechen zu können. Vielleicht konnte er ihr einen Rat geben, wie sie mit Louisa umgehen sollte.
Die Tür zur Wohnung ihrer Schwiegereltern im Erdgeschoss war nur angelehnt. Emma klopfte und trat ein. Wegen der Hitze waren die Schlagläden geschlossen, es herrschte dämmeriges Zwielicht und eine angenehme Kühle. Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee hing in der Luft.
»Hallo?«, rief sie. »Josef? Renate?«
Keine Antwort. Vielleicht waren sie noch draußen auf der Terrasse.
Emma blieb vor dem großen Spiegel in der Eingangshalle stehen und erschrak fast bei ihrem eigenen Anblick. Sie zog eine Grimasse. Attraktiv war anders. Feuchte Strähnen hatten sich aus dem Haarknoten gelöst und ringelten
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