Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
ohne sich mit einem Gruß oder einer weiteren Erklärung aufzuhalten. »Der Stoff besteht aus Baumwolle und einer Elastanfaser. Möglicherweise hat sie den Stoff vor Hunger gegessen, sonst hatte sich nichts in Magen oder Darm befunden. Wir konnten einige der Fetzen ziemlich gut aufbereiten. Ist vielleicht interessant für euch. Ich schick dir drei Fotos als Mailanhang.«
Da die Runde im Besprechungsraum ohnehin bereits in Auflösung begriffen war, ging Pia hoch in ihr Büro und setzte sich an den Schreibtisch. Sie rief das Mailprogramm auf und wartete, bis der Server die Mail von Henning heruntergeladen hatte. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingern auf den Rand der Tastatur. Natürlich hatte Henning sich nicht die Mühe gemacht, den Anhang zu verkleinern, und der Computer brauchte Minuten, um dreimal 5,3 Megabyte zu laden. Endlich konnte sie das erste Foto öffnen und starrte verständnislos auf den Bildschirm.
Kathrin Fachinger und Kai Ostermann betraten das Büro.
»Was hast du da?«, fragte Ostermann hinter ihr neugierig.
»Henning hat mir Fotos von den Stoffresten aus dem Magen des Mädchens geschickt«, antwortete Pia. »Aber ich erkenne nichts.«
»Lass mich mal gucken.«
Sie rollte mit ihrem Stuhl ein Stück zurück und überließ Kai Tastatur und Maus. Er verkleinerte die Fotos. Zu dritt betrachteten sie die Bilder der Stofffetzen.
»Das größte Stück ist sieben mal vier Zentimeter groß«, erklärte Kai. »Das sind Buchstaben! Der Stoff ist rosa und mit einer weißen Schrift bedruckt.«
Kathrin und Pia beugten sich nach vorne.
»Das könnte ein S sein«, vermutete Kathrin. »Ein I und dann N oder M und D oder P.«
»Und auf dem Bild hier entziffere ich ein O«, sagte Kai.
»S-I-N(M)- D(P) und O«, notierte Pia auf ihrer Schreibtischunterlage.
Kai las die E-Mail, an die Henning die Fotos angehängt hatte.
»Die Magensäure hatte dem Gewebe schon zugesetzt. Es war keine fremde DNS festzustellen. Am Stoff wurden keine Spuren von Zähnen gefunden, er wurde in kleine Teile gerissen oder geschnitten.«
»Aber wie kann er in ihren Magen gelangt sein?«, überlegte Kathrin laut.
»Henning vermutet, sie könnte ihn gegessen haben, weil sie Hunger hatte«, antwortete Pia.
»Großer Gott.« Kathrin verzog das Gesicht. »Das muss man sich mal vorstellen. Wie verzweifelt muss man sein, um Stoff zu essen?«
»Vielleicht hat man sie auch gezwungen«, gab Kai zu bedenken. »Nach allem, was diesem Mädchen widerfahren ist, halte ich das durchaus für möglich.«
Auf dem Flur wurden Stimmen laut.
»… jetzt keine Zeit für so einen Kokolores«, hörten sie ihren Chef sagen. Wenig später erschien Bodenstein im Türrahmen.
»Gerade ist ein Hinweis reingekommen, der ziemlich vielversprechend klingt«, verkündete er. »Pia, wir fahren sofort los.«
Hinter ihm tauchte Frank Behnke auf.
»Sie bezeichnen eine offizielle Untersuchung des Dezernats für Interne Ermittlungen als Kokolores?«, fragte er selbstgefällig. »Kommen Sie von Ihrem hohen Ross runter, Herr von Bodenstein, sonst kann das unangenehme Konsequenzen haben.«
Bodenstein wandte sich um und blickte auf Behnke, den er um Haupteslänge überragte, hinab.
»Ich lasse mir von Ihnen sicher nicht drohen.« Seine Stimme wurde eisig. »Wenn mein aktueller Fall geklärt ist, stehe ich der Großinquisition zur Verfügung. Vorher habe ich dazu keine Zeit.«
Behnke wurde erst rot, dann blass. Sein Blick huschte an Bodenstein vorbei. Erst jetzt bemerkte er seine ehemaligen Kollegen.
»Na, Frank.« Kathrin grinste spöttisch. »Hübsch siehst du aus in deiner neuen Verkleidung.«
Mit Frauen hatte Behnke schon immer ein Problem gehabt, ganz besonders mit Kolleginnen, die ihm ebenbürtig oder gar überlegen waren. Aber sein ganz besonderes Hassobjekt war Kathrin Fachinger, die ihn damals nach seiner Attacke wegen Körperverletzung angezeigt und damit für seine Suspendierung gesorgt hatte.
Nach wie vor war der Mangel an Selbstbeherrschung seine schwache Stelle.
»Dich krieg ich auch noch dran!« In seinem Zorn ließ er sich zu einer Äußerung von fataler Unbedachtsamkeit hinreißen und das vor Zeugen. »Euch alle! Ihr werdet euch noch wundern.«
»Ich hab mich schon immer gefragt, was für ein Mensch man sein muss, um als Spion gegen seine eigenen Kollegen zu ermitteln«, entgegnete Kathrin angewidert. »Jetzt weiß ich’s. Man muss ein nachtragender, von Minderwertigkeitskomplexen zerfressener Intrigant sein. Eine arme Sau, auf Deutsch
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