Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
Treppe hoch, er folgte ihr.
»Hast du heute schon mit Matern gesprochen?«, wollte er wissen.
»Nein. Wieso?«
»Er hat mich heute Nachmittag angerufen und war irgendwie komisch. Hattet ihr Streit?«
»Wie kommst du darauf?«
»Na ja, er hat irgendwie herumgedruckst. Wegen der ersten Sendung nach der Sommerpause.«
»Ach?« Hanna blieb stehen und drehte sich um. Hatte sie Wolfgang nicht ausdrücklich gesagt, er solle kein Wort über die Angelegenheit verlieren?
»Was ist da los? Worum geht es?« Niemöller betrachtete sie mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen. »Seit Tagen bist du kaum noch erreichbar.«
»Ich bin an einer großen Sache dran«, erwiderte Hanna, erleichtert, dass Wolfgang offenbar den Mund gehalten hatte. Sie musste ihn wohl noch mal gründlich ins Gebet nehmen. »Könnte ein echter Kracher werden.«
»Noch mal, worum geht es?«
»Das erfährst du, wenn ich selbst mehr weiß.«
»Was soll diese Geheimniskrämerei?«, beschwerte sich ihr Mitgeschäftsführer argwöhnisch. »Wir entscheiden doch normalerweise zusammen, was wir machen. Oder läuft da was hinter meinem Rücken?«
»Da läuft gar nichts«, erwiderte Hanna scharf. »Und es ist noch lange nicht so weit, um das Thema in der großen Runde zu besprechen.«
»Aber Matern hast du schon davon erzählt …«, begann Niemöller, gekränkt wie eine Primaballerina, der eine andere den Schwarzen Schwan weggeschnappt hatte.
»Jan, jetzt sei nicht kindisch. Du erfährst das alles noch früh genug«, fiel Hanna ihm ins Wort. »Und Wolfgang ist zufällig nicht nur der Programmdirektor, sondern auch ein guter Freund.«
»Wenn du dich da nur nicht irrst«, knurrte Niemöller eifersüchtig.
Hanna warf noch einen letzten Blick auf ihr Smartphone, bevor sie es in die Tasche steckte, dann knipste sie ihr professionelles Lächeln an.
»Komm«, sagte sie versöhnlich und hakte sich bei ihm unter. »Lass uns noch etwas feiern. Wir haben allen Grund dazu.«
»Mir ist die Lust aufs Feiern vergangen«, antwortete Niemöller und machte sich unsanft los. »Ich fahre nach Hause.«
»Auch gut.« Hanna zuckte die Schultern. »Dann gute Nacht.«
Wenn er geglaubt hatte, sie würde ihn anbetteln mitzukommen, dann hatte er sich getäuscht. Er ging ihr von Tag zu Tag mehr auf den Geist mit seiner besitzergreifenden Art. Vielleicht sollte sie sich nach einem Nachfolger für ihn umsehen, oder besser noch nach einer Nachfolgerin.
*
Die Gästeliste derer, die sich im Park des herrlichen Stadtpalais von Miriams Großmutter im noblen Holzhausenviertel tummelten, las sich wie das Who’s who der feinen Frankfurter und Vordertaunusgesellschaft. Alte Namen, neue Namen, altes Geld und neues Geld amüsierte sich Seite an Seite, man war in Geberlaune. Wenn Charlotte Horowitz einlud, um junge begabte Musiker vorzustellen, kamen alle. Heute stand ein siebzehnjähriger Pianist im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Durch das Abenteuer im Main-Taunus-Zentrum war Pia zu spät gekommen und hatte nur noch die letzten paar Takte einer wahrhaft virtuosen Vorstellung mitbekommen.
Ihr Bedauern darüber hielt sich in Grenzen, denn sie hatte es in erster Linie auf das vorzügliche Essen abgesehen, auf dessen Qualität bei Großmama Horowitz Verlass war.
Am Buffet traf sie Henning.
»Na, wieder mal pünktlich verspätet?«, bemerkte er spitz. »Das fällt allmählich auf.«
»Nur dir«, erwiderte Pia. »Sonst beachtet mich hier niemand. Außerdem mache ich mir nicht besonders viel aus dem Klaviergeklimper.«
»Pia ist eine Banausin«, stellte Lilly altklug fest. »Das hat Opa gestern gesagt.«
»Wie recht dein Opa hat«, entgegnete Henning und grinste.
»Ich geb’s ja zu.« Pias Blick glitt über die verlockenden Köstlichkeiten, und sie überlegte, womit sie anfangen sollte. Sie war völlig ausgehungert.
Miriam kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu und küsste sie links und rechts auf die Wangen.
»Schickes Kleid«, bemerkte sie. »Neu?«
»Ja, heute bei Chanel erstanden«, scherzte Pia. »Ein Schnäppchen für zweitausend Euro.«
»Das stimmt doch gar nicht«, mischte sich Lilly empört ein.
»Das war ein Witz«, sagte Pia. »Erzähl Miriam lieber von unserem Abenteuer, weswegen wir zu spät gekommen sind und diesen wundervollen Pianisten verpasst haben.«
Sie zwinkerte der Freundin zu. Miriam wusste, wie schnuppe ihr die Musikerzöglinge ihrer Oma waren. Lilly erzählte die abenteuerliche Einkaufszentrumsgeschichte en détail, wobei sie auch
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