Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
ließ das Fenster herunter.
Zwei Männer stiegen aus, ein Beamter in Zivil leuchtete mit einer Taschenlampe in ihr Auto.
»Guten Abend«, sagte er. »Fahrzeugkontrolle. Führerschein, Personalausweis, Fahrzeugpapiere bitte.«
Hanna griff nach ihrer Tasche, die auf dem Beifahrersitz stand, und holte ihr Portemonnaie heraus. Sie war froh, dass sie alle Papiere dabeihatte. Umso schneller konnte sie weiterfahren. Ihre Finger trommelten ungeduldig auf das Lenkrad, während der Zivilbulle zu seinem Auto ging. Der Zweite blieb schräg vor ihrem Auto stehen.
Sollte sie Mr. Blue Eyes eine SMS schreiben? Oder war es besser darauf zu warten, dass er sich als Nächstes bei ihr meldete? Sie wollte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, sie liefe hinter ihm her.
Erste schwere Regentropfen klatschten auf die Windschutzscheibe, der Wind rauschte in den großen Bäumen ringsum. Wie lange das dauerte! Es war schon kurz vor eins.
Endlich kam der Polizeibeamte zurück.
»Steigen Sie bitte aus, und öffnen Sie den Kofferraum.«
Widersetzte sie sich, würden sie vielleicht noch eine Alkoholkontrolle machen, also war es besser, gleich zu tun, was sie verlangten. Wahrscheinlich langweilten sie sich auf ihrer Nachtschicht, und ein Auto wie ihres weckte immer Aufmerksamkeit und Neid. Seitdem sie den Panamera fuhr, war sie so oft von der Polizei angehalten worden wie nie zuvor. Hanna drückte den Knopf, und der Kofferraum öffnete sich, dann stieg sie aus.
Kühle Regentropfen trafen ihre klebrige Haut. Es duftete nach Wald, Bärlauch, feuchtem Asphalt und jenem metallischen Geruch, den die Erde im Sommer ausströmte, wenn sie nach längeren Trockenphasen nass wurde.
»Wo sind das Warndreieck, die Warnweste und der Erste-Hilfe-Kasten?«
Gott, die nahmen es aber auch genau! Der Regen wurde stärker, Hanna fröstelte.
»Da sind Warndreieck und Weste.« Sie wies auf die Unterseite des Kofferraumdeckels. »Und hier der Erste-Hilfe-Kasten. Genügt Ihnen das?«
Ein Blitz zuckte.
Aus dem Augenwinkel nahm Hanna eine Bewegung wahr. Der zweite Beamte stand plötzlich hinter ihr, sie spürte seinen Atem im Genick und ihr Gehirn registrierte instinktiv Gefahr.
Das sind keine Polizisten!, schoss es ihr durch den Kopf, als kräftige Hände ihre Oberarme ergriffen. Blitzschnell duckte sie sich nach vorne, machte gleichzeitig einen Schritt nach hinten. Der Angreifer lockerte seinen Griff, so dass sie sich umdrehen und ihm ihr Knie in die Genitalien rammen konnte. Hannas Reaktion war reiner Reflex. In dem Selbstverteidigungskurs, den sie absolviert hatte, nachdem dieser Verrückte sie beinahe zwei Jahre gestalkt hatte, war ihr im Basiskurs ›Befreiung aus Festhaltegriffen‹ beigebracht worden, wie sie sich wehren konnte, wenn sie angegriffen wurde. Der Mann taumelte, krümmte sich zusammen und stieß einen Fluch aus. Hanna nutzte den Moment, um zu flüchten, aber sie hatte nicht mit dem zweiten Kerl gerechnet. Ein Schlag traf ihren Hinterkopf. Grelle Punkte explodierten vor ihren Augen wie ein Feuerwerk, ihre Knie gaben nach, sie sackte in sich zusammen. Schemenhaft nahm sie die Beine und Schuhe der Männer wahr, die Perspektive hatte sich verändert. Sie sah den lehmigen Boden, auf dem sich im stärker werdenden Regen Pfützen bildeten, aber sie begriff nicht, was passierte. Für einen Moment fühlte sie sich schwerelos, verlor die Orientierung. Dann war es mit einem Mal trocken, dunkel und warm. Alles ging so schnell, dass sie nicht einmal Zeit hatte, Angst zu verspüren.
*
Sie liebte es, im Pferdestall zu sein. Für sie war es der schönste Ort auf der ganzen Welt. Keines ihrer Geschwister mochte Pferde so wie sie, und oft hielten sie sich die Nase zu, wenn sie aus dem Stall kam und nach Pferden roch. Das Voltigieren machte Spaß, sie war gut darin, und weil sie so zierlich und leicht war, durfte sie nicht nur bei der Pflicht mitmachen, sondern auch bei den Küraufgaben. Sie genoss das Gefühl der Sicherheit und Leichtigkeit, das sie jedes Mal durchströmte, wenn sie auf dem Pferderücken turnte, so wie andere es kaum auf dem Boden konnten.
Nach dem Unterricht hatte sie Gaby, der Voltigierlehrerin, geholfen, Asterix zu versorgen. Sie hatte die Hufe auskratzen und das Pferd in seine Box führen dürfen. Asterix war das liebste Pferd der Welt, ein Schimmel mit warmen braunen Augen und einer Mähne wie Silber. Die anderen Mädchen aus der Voltigiergruppe waren schon weg, aber sie hatte keine Lust, nach Hause zu gehen. Sie setzte sich in
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