Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
den Wald gefahren war. Noch weniger als Leute, die mit Autos im Wald herumfuhren, mochte er jedoch freilaufende Hunde während der Schonzeit. Da kannte er kein Pardon.
Auf der Suche nach dem Eyeliner kramte Meike in ihrer Tasche und stieß dabei auf den unseligen Zettel, der heute bei der Post gelegen hatte. Sollte sie ihn der Polizei geben? Nein, besser nicht. Hanna verstand absolut keinen Spaß, wenn es um irgendwelche Recherchen für ihre Sendung ging, und sie würde ihr den Kopf abreißen, wenn sie ausgerechnet den Bullen etwas über ein noch geheimes Projekt verriet. Und falls dies tatsächlich mit der Rockerbande zu tun haben sollte, dann war die Polizei sicherlich die schlechtmöglichste Adresse.
Meike gab den Versuch auf, sich neu zu schminken. Das Zittern wurde stärker. Sie ließ kaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen.
Den Rockern war sie um Haaresbreite entkommen, weil sie einfach davongefahren war. Vielleicht hatte der Förster sich das Kennzeichen ihres Autos gemerkt, aber er würde es wohl kaum diesen Rockertypen verraten. Auf der Rückfahrt hatte sie vor Wut geheult und war direkt nach Langenhain gefahren, um ihre Mutter zur Rede zu stellen. Aber statt ihr waren die Bullen im Haus, behaupteten, dass Hanna überfallen und vergewaltigt worden sei, und stellten blöde Fragen.
Meike war klar, wie ihre gleichgültige Reaktion auf die beiden Polizisten gewirkt haben musste, sie kannte den Ausdruck, den sie in ihren Augen gesehen hatte, nur zu gut: Es war Abscheu. Oft sahen Menschen sie auf diese Weise an, und sie war selbst schuld daran, weil sie es mit ihrem ruppigen Verhalten provozierte.
Früher hatte sie versucht, zu jedem höflich und nett zu sein. Auch wenn es in ihrem Innern ganz anders ausgesehen hatte, hatte sie gelächelt und gelogen. In ihrer fetten Phase hatten die Seelenklempner ihr erklärt, sie sei nur deshalb so dick, weil sie alles in sich hineinfraß. Damals hatte sie damit begonnen, genau das zu sagen, was sie dachte. Zuerst hatte sie es aus der festen Überzeugung heraus getan, es würde ihr helfen, ehrlich und aufrichtig zu sein, aber mit der Zeit hatte sie eine geradezu boshafte Freude dabei empfunden, andere Menschen vor den Kopf zu stoßen, obwohl sie sich damit selbst hochgradig unbeliebt machte. Und jetzt war sie eben nicht schockiert über das, was die Bullen ihr gerade erzählt hatten. Im Gegenteil. Es vervielfachte ihren Zorn auf Hanna. Warum musste sie sich auch mit solchen Leuten – mit diesen Asozialen, mit gestörten Psychos und Kriminellen – einlassen, wie sie es immer wieder tat? Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um, das war eines von diesen dämlichen Sprichwörtern, mit denen ihr Vater ständig um sich warf, aber es hatte leider einen wahren Kern.
Auf die Frage der Polizisten, ob Hanna Feinde oder in der letzten Zeit Streit mit jemandem gehabt hatte, hatte Meike Norman genannt und Jan Niemöller, der gestern Abend im Auto auf dem Parkplatz gewartet und Hanna abgepasst hatte, als sie aus dem Funkhaus gekommen war. Sie hatte auch den Namen ihres aktuellen Stiefvaters erwähnt und erzählt, dass neulich jemand Hannas Auto zerkratzt hatte.
Sie dachte wieder an den Zettel. Hatte Hanna irgendetwas über diese Rocker herausgefunden oder etwas getan, was den Zorn dieser Bande provoziert hatte? War sie von denen überfallen worden? Hätte sie der Polizei doch etwas darüber sagen sollen?
Meikes Knie zitterten so stark, dass sie sich auf den geschlossenen Klodeckel setzen musste. Die Angst, die sie einigermaßen verdrängt hatte, kehrte zurück und flutete in einer schwarzen Welle über sie hinweg. Ihr wurde übel. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und beugte sich nach vorne.
Hanna war zusammengeschlagen und vergewaltigt worden, man hatte sie bewusstlos, nackt und gefesselt im Kofferraum ihres Autos gefunden. Oh Gott! Das konnte nicht wahr sein! Das durfte einfach nicht wahr sein! Sie würde nicht ins Krankenhaus gehen, niemals! Sie wollte ihre Mutter nicht so sehen, so schwach und krank.
Aber – was sollte sie bloß tun? Sie musste mit jemandem über all das sprechen – nur mit wem? Plötzlich flossen die Tränen, sie strömten über ihre Wangen und ließen sich nicht mehr stoppen.
»Mama«, schluchzte Meike. »Ach, Mama, was soll ich nur machen?«
Ihr Handy summte ununterbrochen in ihrer Tasche. Sie zog es hervor. Irina! Dreizehn Anrufe, vier Nachrichten. Nein, mit der wollte sie sicherlich nicht reden. Ihr Vater fiel auch aus, und Freundinnen,
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