Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
besänftigte Pia den Kollegen.
Das Haus war von innen sehr viel größer, als es von außen den Anschein machte. Travertin, Schmiedeeisen und dunkles Holz dominierten eine große, düstere Eingangshalle mit einer Treppe in den oberen Stock. Pia blickte sich um, dann ging sie zu der Anrichte, die links neben der Eingangstür stand.
»Heute hat schon jemand die Post aufgehoben und hierhergelegt«, stellte sie fest. »Die wird wohl durch den Briefschlitz an der Haustür geworfen.«
»Wahrscheinlich war das die Tochter.« Bodenstein betrat die Küche. Auf dem Küchentisch erblickte er benutzte Gläser und vier leere Bierflaschen, in der Spüle Teller und Besteck mit Essensresten. Im Wohnzimmer lag auf der schwarzen Ledercouch eine zerknüllte Webpelzdecke, als habe dort jemand ein Schläfchen gehalten. Auf dem Wohnzimmertisch weitere Gläser und ein Aschenbecher mit ein paar Kippen. Ein wahres DNS -Paradies für Krögers Leute.
Von den bodentiefen Fenstern blickte man über eine Terrasse in einen weitläufigen Garten. Das Arbeitszimmer, das sich auf der anderen Seite der Eingangshalle befand, wirkte im Vergleich zum Rest des Hauses unaufgeräumt. Papierstöße, Aktenordner, die Schubladen eines Rollcontainers standen offen, der Inhalt eines Papierkorbs lag verstreut auf dem Fußboden. Pia ließ ihren Blick durch den Raum wandern. Es war nur ein Instinkt, undefinierbar und beunruhigend, aber sie hatte schon so viele Tatorte gesehen, dass sie auch ohne offensichtliche Kampf- oder Blutspuren ein Ungleichgewicht, eine Störung bemerkte, fast sogar körperlich spürte.
»Hier war jemand«, sagte sie zu Bodenstein. »Jemand Fremdes. Er hat den Schreibtisch und die Papiere durchsucht.«
Ihr Chef fragte nicht, weshalb sie das glaube. Sie arbeiteten schon lange zusammen, und häufig genug hatte Pia mit ihren intuitiven Vermutungen recht behalten.
Sie betraten den Raum. Auch hier waren die Wände mit gerahmten Fotografien der Hausherrin gepflastert, dazwischen gab es aber auch Familienfotos. Verschiedene Männer, aber immer dasselbe Mädchen, vom Kindes- bis zum jungen Erwachsenenalter.
»Das dürfte Meike sein.« Pia betrachtete die Fotos. Ein fröhliches, lachendes Kind, das sich in einen dicken, pickligen Teenager mit mürrischem Gesichtsausdruck verwandelt hatte und sich im Schatten der strahlend schönen Mutter nicht wohl zu fühlen schien. »Und Männer scheint es ja einige in ihrem Leben gegeben zu haben.«
»Herrn Herzmann und Herrn Kornbichler auf jeden Fall«, sagte Bodenstein und bückte sich, um einen Blick unter den Schreibtisch zu werfen. »Ich sehe keinen Laptop oder PC .«
»Vielleicht hat sie den in ihrem Schlafzimmer. Oder er wurde geklaut.«
Pia trat neben ihren Chef und betrachtete die verstreuten Papiere. Notizen, Recherchematerialien, Verträge, Entwürfe für einen Vortrag oder eine Moderation – alles handschriftlich.
»Ob jemand wie Hanna Herzmann es nötig hat, sich mit irgendwelchen Männern zu anonymen Sex an einer Autobahnraststätte zu treffen?«, überlegte Pia laut. »Die hat doch kein Problem, einen Mann zu finden.«
»Darum geht es dabei doch auch gar nicht«, entgegnete Bodenstein. »Leuten, die das tun, geht’s nicht um einen Partner, sondern um den Kick. Den Reiz. Die Gefahr. Wer weiß, vielleicht suchte sie genau das.«
Pias Handy klingelte. Es war die Rechtsmedizinerin, die Hanna Herzmann vor der OP untersucht hatte. Pia stellte das Handy laut, sie und Bodenstein lauschten mit wachsender Abscheu dem Bericht. Hanna war nicht einfach vergewaltigt worden, was ja an und für sich schon schlimm genug war. Nein, der Täter hatte sie vaginal und rektal mit einem Gegenstand missbraucht und ihr dabei die schweren inneren Verletzungen zugefügt. Außerdem war sie aufs Brutalste geschlagen und getreten worden, davon zeugten Frakturen des Gesichtsknochens, der Rippen, des Brustbeins und des rechten Oberarms. Die Frau war durch eine wahre Hölle gegangen und hatte sie nur mit sehr viel Glück überlebt.
»Das war der pure Hass«, sagte Pia, als sie das Gespräch beendet hatte. »Ich bin todsicher, dass da Persönliches im Spiel war.«
»Ich weiß nicht.« Bodenstein wollte die Hände in die Hosentaschen stecken, musste aber feststellen, dass der Overall keine dafür vorgesehenen Schlitze hatte. »Der Missbrauch mit einem Gegenstand ist nicht persönlich.«
»Vielleicht war der Täter physisch nicht in der Lage, sie zu vergewaltigen«, mutmaßte Pia. »Oder er war schwul.«
»Wie
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