Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
drangehen.«
»Ja, natürlich.« Frau Schirrmacher nickte, und Frey ging ein paar Schritte zur Seite.
»Es ist gerade ungünstig«, meldete er sich ungehalten. »Kann ich dich gleich …«
Er verstummte, als er die Anspannung in der Stimme des Anrufers wahrnahm. Schweigend hörte er zu, und seine Verärgerung verwandelte sich innerhalb von Sekunden in Fassungslosigkeit. Trotz der Hitze überlief ihn eine Gänsehaut.
»Bist du dir hundertprozentig sicher?«, fragte er mit gesenkter Stimme und warf einen Blick auf seine Uhr. Im Schatten eines mächtigen Kirschlorbeers blieb er stehen. Der schöne, sonnige Tag war plötzlich von einem Grauschleier überzogen. »Wir treffen uns in einer Stunde. Mach einen Treffpunkt aus und gib mir Bescheid, okay?«
Seine Gedanken überschlugen sich. Konnte ein Mensch in Deutschland einfach so von der Bildfläche verschwinden – vierzehn Jahre lang, ohne dass er irgendwo gesehen wurde? Gab es das – eine Beerdigung ohne Leiche? Einen Grabstein, Blumen und Kerzen auf einem Grab, in dem niemand lag? Nach allem, was geschehen war, hatte die Todesnachricht damals für Trauer gesorgt, aber vor allen Dingen für Erleichterung. Die Gefahr, in der alle geschwebt hatten, schien ein für alle Mal gebannt.
Frey beendete das Telefonat und starrte einen Moment ins Leere.
Ihm war klar, was es bedeutete, wenn das, was er gerade gehört hatte, tatsächlich stimmte. Es war zweifellos das Schlimmste, was passieren konnte. Der Alptraum würde von vorne beginnen.
*
»Großer Gott!« Kornbichler richtete sich auf und riss die Augen auf. »Das … das habe ich nicht gewusst! Wie geht es … ich meine … oh Scheiße. Das tut mir echt leid.«
»Warum waren Sie in Langenhain? Was wollten Sie dort?«
»Ich … ich …« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, rutschte nervös auf der Schlafcouch hin und her. Sein Spiegelbild interessierte ihn nicht mehr. »Sie … Sie glauben doch nicht etwa, dass ich meine Frau vergewaltigt und verletzt hätte?«
Das klang nicht empört, sondern erschrocken.
»Wir glauben gar nichts«, erwiderte Bodenstein. »Es reicht uns, wenn Sie unsere Fragen beantworten.«
»Warum hat mich keiner angerufen, um mir das zu sagen?« Kornbichler schüttelte den Kopf und blickte auf sein Smartphone. »Irina oder Jan hätten mir das doch mal mitteilen können!«
»Was hatten Sie am Haus Ihrer Frau in Langenhain zu suchen?«, wiederholte Bodenstein Pias Frage. »Und warum haben Sie uns nicht gleich gesagt, dass Sie dort waren?«
»Sie hatten nach dem Zeitraum von elf bis drei Uhr morgens gefragt«, entgegnete Kornbichler schlagfertig. »Ich wusste ja nicht genau, worum es geht.«
»Was dachten Sie denn, weshalb die Kripo mit Ihnen sprechen will?«, fragte Pia.
»Ehrlich gesagt, keine Ahnung.« Er zuckte die Achseln.
Pia betrachtete aufmerksam sein Mienenspiel. Vinzenz Kornbichler mochte gekränkt und wütend sein, aber war er zu einer solchen Brutalität fähig, wie sie Hanna Herzmann widerfahren war?
»Hat Ihre Frau Feinde?«, wollte Bodenstein wissen. »Wurde sie in der Vergangenheit mal bedroht?«
»Ja, da gab es einen Typ, der sie mal ziemlich massiv gestalkt hat«, sagte Kornbichler. »Das war kurz bevor Hanna und ich uns kennengelernt hatten. Der saß deswegen im Knast.«
Das hörte sich interessant an. Kornbichler kannte keinen Namen, versprach aber, bei Irina Zydek nachzufragen.
»Und es gibt einen früheren Mitarbeiter, Norman Seiler. Der hat einen Riesenzorn auf Hanna«, fuhr der Mann fort. »Sie hat ihm vor zwei Wochen gekündigt, fristlos. Na ja, und dieser Niemöller war mir auch immer suspekt. Der ist schwer verknallt in Hanna, aber sie macht sich nichts aus ihm. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die als Talkshowgäste bloßgestellt wurden und deswegen ziemlich sauer auf Hanna sind.«
Pia hatte sich Notizen gemacht. Norman Seiler hatte zwar ein so starkes Motiv, wie man es sich als Polizistin nur erträumen konnte, aber leider ein hieb- und stichfestes Alibi. Er war vorgestern nach Berlin geflogen und erst heute Vormittag um halb zwölf zurückgekommen. Alle Termine, die er genannt hatte, waren überprüft und bestätigt worden. Das Alibi von Jan Niemöller hingegen war schwach. Er wollte vor der After-Show-Party direkt nach Hause gefahren und gleich ins Bett gegangen sein, doch Meike Herzmann hatte beobachtet, dass er in seinem Auto gesessen und auf Hanna gewartet hatte. Gegen seine Behauptung, er habe ausgiebig geschlafen, sprach sein
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