Böses Blut
ist für mich«, sagte Larner leise. »Zwanzig Jahre«, fügte er hinzu. »Was zum Teufel hast du angestellt? Ich habe dich brennen sehen. Ich habe deine Zähne gesehen.«
Er zog die nächste Schublade heraus. Dort lagen ein paar zerrissene Papiere, zentimetergroße Fragmente. Auf einem schimmerte ein Datum.
»Tagebuch?« fragte Hjelm.
»Er hat uns gerade genug hinterlassen«, sagte Larner. »Genug, um uns eine Ahnung von der Hölle zu vermitteln, durch die er gegangen ist. Aber nicht mehr.«
Sonst gab es nichts, absolut nichts.
Jerry Schonbauer kam mit einer kleinen, fast durchsichtigen alten Dame herein, die ihm ungefähr bis zur Hüfte reichte. Sie blieben im Flur stehen.
»Ja?« sagte Larner.
»Das ist die einzige Nachbarin, die ich auftreiben konnte, die überhaupt wußte, daß hier jemand gewohnt hat«, sagte Schonbauer. »Mrs. Wilma Stewart.«
»Mrs. Stewart, was können Sie erzählen?« fragte Larner und trat auf die alte Frau zu, um sie zu begrüßen.
Sie sah sich im Raum um. »Genau so war er«, sagte sie. »Ausdruckslos, anonym. Versuchte zu vermeiden, gesehen zu werden. Grüßte widerwillig. Ich habe ihn einmal auf eine Tasse Tee eingeladen. Er hat abgelehnt, nicht höflich, nicht unhöflich, sagte nur nein und ging.«
Larner zog eine kleine Grimasse.
»Was hat er getan?« fragte Mrs. Stewart.
»Glauben Sie, Sie könnten uns helfen, ein Porträt zu erstellen?« fragte Larner. »Wir wären Ihnen sehr dankbar.«
»Er hätte mich ermorden können«, sagte sie leise und wissend.
Larner lächelte ein kleines Abschiedslächeln, und Schonbauer transportierte sie zum Wagen. Auf dem Flur begegnete das ungleiche Paar einer kleinen Armee von Kriminaltechnikern.
Einer von ihnen trat zu Larner in die Türöffnung. »Wir fangen von hier an«, sagte er kurz.
Larner nickte und winkte die Schweden zu sich herüber. »Jetzt heißt es warten«, sagte er, und sie gingen langsam die acht Treppen wieder hinunter. »Als hätten wir das nicht schon zur Genüge getan.«
Ein paar Etagen weiter unten wandte er sich zu ihnen um und sagte: »Die Wohnung des Teufels sieht nie so aus, wie man sie sich vorstellt.«
25
Als zwei Köpfe, die normalerweise nicht zu den hellsten gehörten, sich zusammentaten, wurde etwas Neues geboren. Viggo Norlander arbeitete auf seiner Seite mit John Doe, Gunnar Nyberg auf seiner mit LinkCoop. Bei einer bestimmten Gelegenheit trafen sich ihre mühsam erkämpften Gedanken, und die Welt nahm eine neue Form an.
Norlander kam zunächst mit seiner namenlosen Leiche nicht vom Fleck. Es gab so verflixt wenig Anhaltspunkte. Er saß in seinem Büro und kämpfte sich ein übers andere Mal durch das Obduktionsprotokoll. Ihm gegenüber saß der bedeutend schneller arbeitende Arto Söderstedt, der sich eigens ein Flipchart hatte kommen lassen und Miniatur–Hultin spielte.
»Was pusselst du da eigentlich?« fragte Norlander irritiert.
»Das Ehepaar Lindberger«, antwortete Söderstedt zerstreut und zeichnete weiter.
»Braucht man dafür ein Flipchart?«
»Braucht und braucht... Er hat eine Masse Aufzeichnungen hinterlassen, die sortiert werden müssen. Und sie hatte auch ein bißchen...«
»Sie? Hast du ihre Aufzeichnungen geklaut?«
Arto Söderstedt blickte mit einem spöttischen Lächeln auf.
»Nicht geklaut, Viggo. Ein Polizeibeamter stiehlt nie. Wie er auch nie weibliche Paßbeamte belästigt und kleine Mädchen über den Haufen rennt.«
»Idiot.«
»Ein Polizeibeamter stiehlt nicht, er kopiert.«
Er füllte weiter seine Kästchen aus.
»Als ob das besser wäre«, sagte Norlander.
Söderstedt hielt wieder inne und sah auf. »Es ist viel besser. Nicht zuletzt, weil man vergleichen kann mit dem, was sie von sich aus präsentiert. Der Unterschied ist das Wesentliche.
Sobald ich hiermit klar bin, werde ich sie bitten, mir einmall ihre Unterlagen ansehen zu dürfen, und dabei darauf achten, ob sie etwas hat verschwinden lassen. Comprende?«
»Die Frau ist in Trauer, verdammt. Laß sie in Frieden.«
Söderstedt legte den Stift beiseite und wurde ernst. »Etwas an denen ist mir nicht ganz geheuer«, sagte er. »Sie sind an die Dreißig und wohnen in einer absolut riesigen Wohnung auf Ostermalm, elf Zimmer, zwei Küchen. Beide arbeiten im Außenministerium und sind das halbe Jahr im Ausland, in Saudi–Arabien. Wenn sie in irgendeine Mauschelei in der arabischen Welt verwickelt sind, und wenn Eriks Tod etwas damit zu tun hat, dann ist die Frau ein durchaus denkbares nächstes Opfer.
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