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Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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einen halben Meter nach oben und fiel wieder zurück. Die Haut wurde von seinem Kopf nach unten gezogen, der Totenschädel gähnte, die Haut wurde wieder nach oben gesogen.
    Hjelm stolperte auf das offene Fenster zu, atmete gierig die schmutzige, aber kristallfreie Luft ein.
    »Sie sind ein paar Sekunden lang high«, sagte Larner. »Das geht vorbei.«
    Kerstin setzte sich am Fenster auf den Boden. Sie schlang die Arme um sich selbst. Hjelm hängte sich aus dem Fenster, versuchte sich zu sammeln, den Blick zu konzentrieren. Ein einziges Drehen. Das Stilleben hinter ihnen wurde aufgehoben. Die Stille starb. Leute wurden hinausgestoßen, Schreie und Brüllen. Sie sahen es nicht.
    Ein Taubenpaar schwebte vom Himmel herab und landete weich auf dem etwas niedrigeren Dach des Nachbarhauses. Hjelm fixierte die Tauben. Sie saßen mucksmäuschenstill auf dem Dachfirst des Hauses. Ein fester Punkt in der rotierenden Welt.
    »Man muß versuchen, eine Weile nicht zu atmen«, sagte Larner hinter seinem Rücken. »Man lernt aus seinen Fehlern. Trial and error.«
    Er bestrafte sie; jetzt begriff Hjelm, daß er sie bestrafte. Er hielt die Tauben mit dem Blick fest. Jetzt flogen sie ein Stück und begannen zu picken, flogen noch einmal auf, blieben in Sichtweite. Er verfolgte ihren Flug, sie waren Kunstflieger, folgten einander exakt. Als sie den stinkenden Krater des Crack–Hauses erreichten, stiegen sie senkrecht auf, glitten langsam durch die schmutzige Luft und landeten auf einer Fensterbank der obersten Wohnung des Nachbarhauses. Das Fenster über ihnen glühte wie Gold in der Sonne. Dann sah er durch das Fenster. Langsam wurde ein Bild hinter der schmutzigen, aber golden glänzenden Scheibe klarer. Es waren ein Mann und ein Junge. Wie in Zeitlupe erhob der Vater die Hand gegen seinen Sohn und schlug ihn, eine klassische, ererbte Ohrfeige, mehrmals, genau dieselbe Bewegung, als würde ein Stück Zeit nur für ihn immer aufs neue wiederholt, beanspruchte seine Aufmerksamkeit, und statt einer Wiederholung landete nun Bild auf Bild in einer märchenhaften Mehrfachprojektion. Der Blick des Sohnes nach dem Schlag, der Blick des Sohnes auf den Vater, absolut unerschöpflich. Darüber legte sich Laban Hassel, der zu seinem Vater aufsah, dann Danne, der zu seinem Vater aufsah, dann Gunnar Nybergs Kinder, die zu ihrem Vater aufsahen. Und schließlich K. Ganz oben auf dem Stapel K., der zu K. aufsieht.
    Böses Blut kehrt wieder.
    »Scheiße noch mal!« schrie er laut.
    Kerstin rappelte sich auf und starrte ihn an. Sie sah, daß er sah.
    »Da ist es doch!« schrie er wieder, wie ein Blöder.
    Die gesammelten Blicke aller ATF–Männer fraßen sich in seinen Nacken. Es war ihm egal.
    »Was ist da?« rief Kerstin mit einer komischen gedämpften Stimme.
    »Der Impuls«, sagte er mit plötzlicher Ruhe. »So glasklar.«
    Er drehte sich auf dem Absatz um und ging zu Larner, der ihn mit einem zutiefst skeptischen Blick betrachtete.
    »I´ve got him«, sagte er nur und starrte Larner in die Augen.
    Dann stürzte er die Treppe hinunter. Larner sah fragend Kerstin an. Sie nickte. Sie stürzten hinter ihm her. Er stand draußen auf der Straße und hatte Schonbauer erwischt, der gerade einen ebenso massiven Drogenproduzenten in einen der schwarzen Wagen schubste. Schonbauer nahm auf dem Fahrersitz eines der anderen Wagen Platz, Hjelm sprang hinein, Kerstin und Larner folgten. Sie fuhren los. Hjelm sagte kein Wort. Sein Blick war vollkommen fest und klar.
    »Was sollen wir tun?« fragte Larner nach einer Weile.
    »Uns ein Foto ansehen«, sagte Hjelm. Das war alles, was auf dem ganzen Weg zurück zum FBI–Gebäude gesagt wurde.
    Sie gingen die Korridore entlang. Hjelm trat zuerst in Larners Zimmer. Er zerrte Wayne Jennings' alte Akte hervor und blätterte die Fotos durch. Das furchtbare Bild mit Jennings und dem Vietnamesen legte er zur Seite. Statt dessen hielt er das Foto von Jennings mit dem Kind auf dem Schoß hoch.
    »Wer ist das hier?« fragte er.
    »Jennings' Sohn«, sagte Larner verwundert. »Lamar.«
    Hjelm legte das Foto auf den Schreibtisch und zeigte darauf. Jennings sah aus wie ein Cowboy, minus Cowboyhut: Jeans, rot–blau–weiß kariertes Flanellhemd, sandige braune Schlangenlederstiefel. Er hatte eine Hand auf den Kopf des Sohnes gelegt, aber er lächelte nicht, wie man es hätte erwarten können, sondern sein Gesicht war absolut ausdruckslos, und der eiskalte Blick drang direkt in die Kamera. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, als

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