Böses Blut
Schreibtischschublade auf und fand ein Paßbild eines friedlich lächelnden Manns um die Sechzig. »Das hier geht gut«, sagte er. »Wer ist das?«
Nyberg blickte zerstreut auf das Foto. »Das ist Kerstins Pastor.«
Hjelm hielt inne und betrachtete den Mann. Erst jetzt wurde ihm klar, daß er auf Kerstins Platz saß. »Weißt du davon?«
»Ja«, sagte Nyberg. »Sie hat es mir erzählt.«
Hjelm spürte einen kleinen Stich und wedelte steif mit dem Bild. Dann sagte er: »Okay. Das muß gehen. Wir wischen es ab, und du siehst zu, daß du Mayers Fingerabdruck draufkriegst.«
»Können wir ihn nicht einfach herholen? Wenn wir nur die Fingerabdrücke haben, ist doch alles klar.«
»Vielleicht kommen wir gar nicht so weit. Es sind starke Kräfte involviert. Ein Anwalt kann ihn freibekommen, bevor Fingerabdrücke überhaupt aktuell werden. Und wir können ihn nicht herbitten. Dann haut er ab. Ich frag mal Hultin.
Er rief an. Hultin kam sofort ins Zimmer, als hätte er draußen gestanden und gelauscht.
Er überschaute die Situation im Nu. Er sah Hjelm an. Dann nickte er. »Okay, so machen wir's. Daß Gunnar und Viggo im Freihafen aufgetaucht sind, muß er als reinen Zufall betrachten. Was es ja auch war, daß ihr endlich auf die Idee kamt, die übrigen Lagerräume da unten durchzuchecken. Er dürfte keine Ahnung haben, wie weit wir inzwischen sind. Es sei denn, beim FBI gibt es eine undichte Stelle. Ich habe gerade einen Bericht von Kerstin bekommen. Sie ist unterwegs. Benny Lundberg hatte Geheimnisse in einem Bankfach, und die sind heute morgen abgeholt worden, wahrscheinlich von diesem Robert Mayer mit einem bescheuerten angeklebten Bart. Wir kriegen ein Phantombild.«
»Was machen wir mit dem Kontrollieren der Fingerabdrücke«, sagte Hjelm. »Es gibt ja diese neuen Mikrovarianten.«
»Kannst du damit umgehen?«
»Nein. Aber Jorge.«
»Hol ihn. Wir fahren alle zusammen. Falls er versucht, sich dünnezumachen, wenn Gunnar da ist.«
Hjelm lief in sein Büro. Chavez war da. Er grübelte immer noch über »Schwester Sten ist stolz auf ihr Bein aus Holz« und »Bruder Linas Brüste wecken heiße Lüste« nach. Waren das wirklich Kinderzimmerreime?
»Besorg dir einen tragbaren Computer mit Fingerabdruckprogramm«, sagte Hjelm. »Wir nehmen K. hops.«
Die Reime fielen platt auf den Boden, und Chavez nahm Tempo auf. Er kam als letzter zu Hultins Dienstwagen und warf sich neben Hjelm auf die Rückbank, den kleinen Computer auf dem Schoß. Hultin fuhr wie eine gesengte Sau nach Täby. Gunnar Nyberg saß neben ihm. Er hatte sich einigermaßen gefaßt und dann LinkCoop angerufen, in genau dem passenden blasierten Ton. Robert Mayer war im Hause. Und würde es auch in den nächsten Stunden noch sein. Nyberg bat um ein Gespräch mit ihm über die Ereignisse der Nacht. Da war außerdem ein Foto, das er ihm zeigen mußte.
Kein Problem.
Sie bogen von Norrtäljevägen ab, fuhren an Täby Zentrum vorbei, das durch die Regenschwaden nur verschwommen zu erkennen war, und gelangten auf die kleinen Straßen.
»Das geht so nicht«, sagte Nyberg plötzlich. »Die haben Bronto–Überwachung. Wachhäuschen an den Toren. Monitorsystem. Er wird alles sehen.«
Hultin fuhr an eine Bushaltestelle und hielt an. Er versuchte, die Situation einzuschätzen, dann wendete er und fuhr zurück. Es war unglaublich frustrierend. Im Parkhaus des Polizeipräsidiums stieg Nyberg um in seinen guten alten Renault. Er fuhr hinterher bis Täby.
Hultins Volvo bog auf einen Parkplatz bei einem Industriegebäude ein paar hundert Meter vor den Toren von LinkCoop ein. Dort blieben sie im Sturm stehen.
Als Nyberg am Wachschalter vorbeirollte, war alles genau wie bei seinem letzten Besuch. Äußerlich.
Nicht zuletzt die wunderschönen Zwillinge in der Anmeldung. Obwohl er versicherte, allein den Weg zu finden, ging eine von ihnen vor ihm durch das stilreine Gebäude; er war immer mehr davon überzeugt, daß es sich um eine durchdachte Marktstrategie handelte. Sein Interesse an dem superkurzen Rock und den Geheimnissen, die er barg, war jedoch herabgesetzt. Unglaublich gespannt betrat er das Zimmer von Sicherheitschef Robert Mayer mit den flimmernden Monitoren an den Wänden.
Mayer richtete seinen eisblauen Blick auf ihn. Wayne Jennings' Blick. Nyberg strengte sich aufs äußerste an, um nicht angestrengt zu wirken. Robert Mayer sah völlig entspannt aus; nur sein Blick schien fixiert zu sein und geradewegs durch ihn hindurchzusehen. Am Abend vorher hatte
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